Die in Oberhausen nicht wahrgenommene Schließung des Vallourec-Werkes (vormals Mannesmann) in Mülheim im Herbst 2022 ist Teil eines im Hintergrund laufenden Prozesses, der weitreichende Folgen haben wird. Von E. Noldus.

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Vallourec als warnendes Beispiel.

Das hier angesprochene Thema mag zunächst im Bereich der Kommunalpolitik nichts zu suchen haben. Aber es ist wichtig, da die Wirtschaft überhaupt erst die Grundlage für jedes Handeln auf kommunaler Ebene legt. Um so trauriger ist es, daß gerade in Oberhausen die Stadtspitzen sich als unfähig erweisen, elementare ökonomische Überlegungen in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen.

Während der städtische Schuldenstand 2023/24 irgendwo im Bereich von zwei Milliarden Euro liegen wird und in die unmittelbare Zuständigkeit von Oberbürgermeister Schranz (CDU) und Stadtkämmerer Tsalastras (SPD) fällt, gibt es jenseits davon ungesunde Tendenzen, die auf Oberhausen durchschlagen. Diese Tendenzen, denen wir uns nun widmen, lassen sich zwar auf kommunaler Ebene nicht abschwächen oder gar umkehren, aber es ist kein politischer Wille der Stadtspitze erkennbar, überhaupt die Probleme zur Kenntnis zu nehmen.

Die Bundesregierung arbeitet hart daran, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu vernichten. Aber auch die CDU-geführte Landesregierung in NRW ist um keinen Deut besser. Um von den Folgen ihres Totalversagens abzulenken, konzentrieren sich die Altparteien auf Hetzkampagnen gegen die AfD. Seitens der Politologen, die zu 99 Prozent ein Spiegelbild der Bildungsmisere abliefern, kommen gute Ratschläge, wie man solche Kampagnen noch effektiver gestalten könnte. Vereinzelt gibt es von dort sogar Forderungen an „die Wirtschaft“, daß deren Vertreter in Fernsehsendungen explizit gegen die AfD auftreten sollen.

Es ist allerdings so, daß die politischen und medialen Eliten tendenziell Endprodukte einer negativen Auslese darstellen. Ideologisches Denken ersetzt die nüchterne Analyse; mit weitreichenden Folgen für uns alle. Führende Wirtschaftsvertreter lassen sich gelegentlich zu Lippenbekenntnissen im Sinne der Leitmedien herbei, wissen aber nur zu gut, wer für Deutschlands Ausverkauf verantwortlich ist. Wer heute noch wirtschaftlich erfolgreich sein will, muß knallhart kalkulieren. Sentimentalitäten und Ideologien sind nicht gefragt. Der EU-Binnenmarkt deckt schonungslos etwaige Schwächen eines Wirtschaftsstandortes auf.

Die Übernahme (u. a.) des Mülheimer Mannesmann-Werkes durch Vallourec im Jahre 2005 setzte einen schleichenden Prozeß in Gang. Nach und nach wurde die Produktpalette verringert und Teilproduktionen nach Frankreich verlagert. Versuchsanlagen (z. B. für Spezial-Gewinderohre) wurden zwar in Mülheim errichtet, aber das technische Wissen und schließlich die Produktion blieben nicht in Deutschland.

Strategische Entscheidungen wie der Bau eines Stahlwerkes in Jeceaba (Brasilien) 2007 und danach Investitionen in erworbene US-Firmen (Standorte Houston/Texas) und Youngstown/Ohio) bedeuteten auch Entscheidungen gegen den deutsch-französischen Wirtschaftsraum. Die im Herbst 2022 abgeschlossene Abwicklung der deutschen Standorte Düsseldorf (Rath und Reisholz) und Mülheim führten auch zu starken Arbeitsplatzverlusten im französischen Teil des Werksverbundes.

Die politischen Eliten Deutschlands auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sind zu dumm und zu unfähig, diese Entwicklungen, die wir hier an einem Beispiel illustriert haben, zu erkennen. Die Spitzen internationaler Wirtschaftsunternehmen müssen hingegen in der Lage sein, strategisch zu denken und nach den Erfordernissen des Marktes zu handeln; und nicht nach den Rezepten des linksgrünen Sektierertums, welches dieses Land regiert.

Ungute Rahmenbedingungen.

Die jüngst von Bundeskanzler Scholz gefeierte Investition von Intel in die Chip-Produktion am Standort Magdeburg ist Teil einer vom Mutterkonzern 2022 getroffenen strategischen Entscheidung, in anderen europäischen Ländern bestehende Standorte auszubauen. Dieser tatsächlich größten Einzelinvestition in den letzten Jahrzehnten stehen allerdings andere Zahlen gegenüber, die als ein unbestechlicher Indikator bedenkliche Entwicklungen aufzeigen. Das Handelsblatt vom 27. 6. 2023 hat die IW-Studie zum Anlaß genommen, um strukturelle Defizite aufzuzeigen:

So würden die BASF Milliarden in China investieren und Biontech plane die Verlagerung der Krebsforschungssparte nach Großbritannien. Im Bereich der Produktivitätsentwicklung habe Deutschland in den letzten 15 Jahren an Boden verloren. Die Steuerbelastung, hohe Energiekosten und Lohnnebenkosten insgesamt würden einen Trend begünstigen, wonach mehr und mehr Firmen ins Ausland abwandern.

Torsten Schmidt vom RWI-Institut für Wirtschaftsforschung Essen sieht die Politik in der Pflicht: Damit aus der Schwäche kein Trend wird, müsse man jetzt gegensteuern durch Abbau der Bürokratie abbauen und Beschleunigung der Digitalisierung beschleunigen. Ansonsten drohten Deutschland und Europa insbesondere von den USA immer stärker abgehängt zu werden.

Das Handelsblatt zitiert weitere Stimmen, wonach die USA derzeit erhebliche Anstrengungen unternähmen, um für ausländische Investoren interessant zu sein. Die Folge sei ein merklich gestiegenes Interesse auch deutscher Unternehmen seit Herbst 2022. Befragte Unternehmen planten an Standorten in West- und Südeuropa perspektivisch in den nächsten fünf Jahren eher den Abbau von Arbeitsplätzen und einen Ausbau in den USA.

Am 28. 6. 2023 gab es eine kurzzeitig in den Leitmedien aufgenommene Pressemitteilung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) über den Kapitalabfluß aus Deutschland im Jahre 2022. Dieser Abfluß war das Resultat von Standortnachteilen, von denen das IW auflistete:

  • Das Bildungssystem ist nicht in der Lage, Fachkräfte nach den Bedürfnissen der Wirtschaft hervorzubringen. 76 Prozent aller jüngst befragten Mittelstandsunternehmen sehen im Fachkräftemangel und in den hohen Arbeitskosten das größte Problem – vor Energie- und Rohstoffpreisen (62 Prozent) und bürokratischem Aufwand.
  • Andere Standorte betreiben eine Politik der Investitionsförderung (Inflation Reduction Act in den USA, Next-Generation-Programm für den EU-Raum unter weitgehendem Ausschluß Deutschlands).
  • Parallel dazu gibt es eine international verstärkte Tendenz zu Handelsprotektionismus, die den deutschen Export erschwert.
  • Durch eine unfähige Regierung herbeigeführte Probleme (Kampf gegen den Verbrennungsmotor, Verfall der Infrastruktur, ausufernde Bürokratie, hohe Besteuerung, hohe Energiepreise) verschlechtern zusätzlich die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns.

Zahlen sind ein unbestechlicher Indikator für Entwicklungen, wenn sie auf einer wissenschaftlichen Grundlage gewonnen und ausgewertet werden.

Hintergrundprozesse.

Der „IW-Kurzbericht 43/2023 Deindustrialisierung – Eine Analyse auf Basis von Direktinvestitionen“ von Christian Rusche, welcher die Grundlage für die IW-Pressemitteilung abgibt, kann man unter dem oben angeführten Link herunterladen.

Einleitend betont Rusche, daß Direktinvestitionen auf strategischen Unternehmensentscheidungen basieren und damit längerfristiger Natur seien. Die OECD definiert Direktinvestitionen als Beteiligungen über zehn Prozent, weil damit Stimmrechte und ein gewisser Einfluß auf Unternehmensentscheidungen verbunden sind. Dazu gehören Übernahmen, Neugründungen, Reinvestitionen von Gewinnen und Kredite zwischen verbundenen Unternehmen über Ländergrenzen hinweg.

Eine angefügte Statistik zeigt Zu- und Abflüsse an Direktinvestitionen in Deutschland für die Jahre 2013 bis 2022. Die Verrechnung der beiden Investitionsströme zeigt, daß es nur im Jahre 2020 einen positiven Saldo in Höhe von 5,6 Mrd. US $ gab. In allen übrigen Jahren waren die Abflüsse an Kapital größer. In den Jahren 2014 bis 2018 verringerte sich der Negativsaldo (Kapitalabfluß aus Deutschland) von -87,1 Mrd. $ stetig auf -25,1 Mrd. $, um 2019 -98,4 Mrd. US $ zu betragen. Der Ökonom Hans-Werner Sinn sieht die massive Verschlechterung 2018/19 als eine Folge gesetzgeberischer Maßnahmen der Bundesregierung: Die willkürliche Festsetzung technisch kaum zu realisierender Abgabe-Normen bedeute für die Automobilindustrie einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit.

Nach dem positiven Saldo (Kapitalzufluß) in Höhe von 5,6 Mrd. $ im Jahre 2020 folgten Abflüsse in Höhe von

  • -118,7 Mrd. $ für 2021. und
  • -131,7 Mrd. $ für 2022.

Mit dem Kapitalabfluß 2022 belegt Deutschland unter den 46 untersuchten Staaten den ersten Platz. Ebenfalls hohe Netto-Abflüsse 2021 und 2022 verzeichnen Japan (122 und 129 Mrd. US $) und Großbritannien (156 und 116 Mrd. US $).

2022 ist nach Angaben der Deutschen Bundesbank (Zahlen nach Rusche) das aus Deutschland abgeflossene Kapital abgegangen

  • zu 60% in den Euro-Raum;
  • zu 10% in die übrige EU;
  • zu 14% nach Asien;
  • zu 14% nach Nord- und Südamerika.

Bei Investitionsprojekten lag Frankreich zahlenmäßig vor Großbritannien und der Türkei, bei der Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze lag Polen (7000) vor Frankreich (6000) und Großbritannien (6800). Die letzten Zahlen für das Jahr 2022 sind insofern interessant, als sie einen Eindruck davon vermitteln, was die Vernichtung von weit über 2000 Arbeitsplätzen durch den strategischen Rückzug von Vallourec aus Deutschland bedeutet.

Umgekehrt stammen die Auslandsinvestitionen in Deutschland 2022 in der Spitze aus den USA und aus China (über 10000 bzw. ca. 4600 Arbeitsplätze). Umgekehrt nahmen die USA den größten Anteil an deutschen Investitionen auf (über 400 Mrd. €), gefolgt von Luxemburg, China und Großbritannien mit jeweils ca. 100 Mrd. €.

Rusches Fazit: „Die stark gestiegenen Abflüsse an Investitionskapital aus Deutschland sind ein Warnsignal, daß der Standort an Attraktivität verliert.“

Und der Bundeskanzler?

Anläßlich der Hannover-Messe 2023 sprach der Präsident des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), Gunther Kegel, über die Zukunft des Industriestandortes Deutschland. Laut Junge Freiheit vom 17. 4. 2023 sah Kegel „bedenkliche Signale“ einer zunehmenden Deindustrialisierung. Es gebe zu wenig Investitionen in bestehende oder neue Fabriken; energieintensiven Unternehmen drohe das Aus. Als Kettenreaktion gerieten dann auch mittelständische Unternehmen in Schwierigkeiten und der Wegfall besonders gut bezahlter, sozialversicherungspflichtiger Industriearbeitsplätze – wir verweisen hier aus eigener Anschauung nochmals auf Vallourec – bedeute einen massiven Wohlstandsverlust.

Der Bundeskanzler hingegen beschrieb den Ausverkauf als „eine riesige Chance für unser Land“. Das „große Wachstumsgeschäft“ treibe Beschäftigung und Wachstum voran. Für die Transformation müßte Deutschland täglich vier bis fünf Windräder bauen und mehr als 40 Fußballfelder Fotovoltaikanlagen aufstellen.

So einfach kann Wirtschaftspolitik sein!