Die Leitmedien haben nach den Dauermeldungen über gestiegene neue Umfragewerte für die AfD den Kampagnenjournalismus wiederentdeckt, da die Altparteien zur politischen Auseinandersetzung offenbar nicht fähig sind. Von E. Noldus.

Der Text als pdf-Datei: 20230406b_Begriffsgeschichte_Alles_fuer_D

Die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft Halle hat Anklage gegen den Thüringer Partei- und Fraktionsvorsitzenden der AfD, Björn Höcke, erhoben. Höcke soll im Mai 2021 in Merseburg (Sachsen-Anhalt) in einer Rede die Wendung „Alles für Deutschland!“ benutzt haben.

Der unbedarfte Leser wird darüber aufgeklärt, daß es sich dabei um eine „SA-Losung“ handelt, weshalb Höcke wegen des Gebrauchs von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen angeklagt werde.

Die Thüringer AfD hat zuletzt – am 28. Mai – in einer Umfrage vom Institut Wahlkreisprognose mit 30 Prozent einen neuen Rekord aufgestellt, weshalb die Intervention der Staatsanwaltschaft, durch Weisungen des Justizministers gebunden, gegen den chronisch erfolgreichen AfD-Landesverband logisch erscheint. Die Anzeige hatte der GRÜNEN-Landeschef von Sachsen-Anhalt erstattet. Auch das ist logisch, weil die dortigen GRÜNEN mit ihren 4 Prozent laut letzter Umfrage gerne einmal wahrgenommen werden wollen.

Der Kunstgriff, mit dem man Höcke vor Gericht zerrt, ist die „Nazifizierung der Geschichte“, da in typisch linksgrüner Manier alles, was deutsch ist, als nationalsozialistisch vergiftet zu gelten hat. Unsere kurze Betrachtung über die beanstandete Wendung setzt im 19. Jahrhundert ein und endet im Jahre 1934.

In der lateinischen Fassung gilt „Einer für alle, alle für einen!“ seit dem späten 19. Jahrhundert gewissermaßen als die Staatsraison der modernen Schweiz. Seit den 1830er Jahren findet er in der Schweizer Presse Verwendung, aber im deutsch-österreichischen Sprachraum setzt dessen Verbreitung nicht zufällig im Jahre 1848 ein.

Die Losung „Einer für alle, alle für einen!“ wurde zum Schlagwort der „großdeutschen“ 1848er, die eine deutsche Einigung unter Einschluß des österreichischen Landesteiles der Donaumonarchie anstrebten. Die Reichsgründung 1871 erfolgte bekanntlich als kleindeutsche Lösung unter Führung Preußens und Ausschluß Österreichs. In der BRD wird die Revolution von 1848 gerne als Beginn der Demokratie auf deutschem Boden gefeiert, wobei nicht zuletzt der Rückgriff auf die Farben Schwarz-Rot-Gold jene Kontinuität symbolisieren soll.

In den revolutionären Märzereignissen in Wien 1848 spielten die Studenten eine wichtige Rolle. Im Innsbrucker „Bothen von Tirol“ vom 6. 8. 1848 hat der Schriftsteller Adolf Pichler einen Bericht über die Hissung der schwarz-rot-goldenen Fahne auf der Wiener Hofburg vier Tage zuvor mit den Worten beendet:

„Wir sind Deutsche, keine andere Farbe mehr als schwarz roth und Gold! kein anderer Ruf als der:

Einer für alle, alle für Einen und alles für Deutschland!“

Zu jenem Zeitpunkt war Tirol durch den soeben begonnenen „ersten Unabhängigkeitskrieg“ bedroht, da eine Allianz italienischer Staaten unter König Carlo Alberto von Savoyen die österreichische Herrschaft in Norditalien abzuschütteln suchte.

In ihrer Kurzform „Einer für alle, alle für Einen!“ verschwand die Losung nach 1848 aus dem politischen Sprachgebrauch, bis sie in Österreich ab den 1870er Jahren wieder vermehrt zutage trat. Der ursprüngliche Sinn ging dabei allerdings verloren und weitete sich zum beliebten Schlagwort für das Prinzip der Solidarität, unter dem sich Vereinigungen aller Art organisierten. Das gilt auch für Deutschland, wo sich der Sprachgebrauch parallel dazu entwickelte.

Das Schlagwort „Alles für Deutschland!“ läßt sich zwar immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen im öffentlichen Sprachgebrauch nachweisen. Aber es ist weder eine abgrenzbare politische Richtung erkennbar, noch ist die von Pichler geprägte Variante später nachweisbar. Wir schließen natürlich einen vereinzelten Gebrauch nicht aus, aber eine größere Bedeutung hat der Spruch nicht erlangt.

Erst im Jahre 1927 läßt sich für das Schlagwort „Alles für Deutschland!“ ein Übergang in den allgemeinen politischen Sprachgebrauch nachweisen. Im Juli jenes Jahres fand die Tagung der Deutschen Studentenschaft in Bonn statt. Die Enthüllung des Ehrenmals für die im Weltkrieg gefallenen Studenten stand unter der Losung „Nichts für uns, alles für Deutschland!“ (General-Anzeiger Bonn 19. 7. 1927).

Ungefähr zeitgleich entstand eine aus Anlaß des 80. Geburtstages von Reichspräsident Hindenburg in Buchform herausgegebene Aufsatzsammlung, welche den „Sieger von Tannenberg“ als Verkörperung der Einheit des deutschen Volkes feierte. Ulrich Kersten, 1930 Vorsitzender der Deutschen Studentenschaft, steuerte einen kurzen Aufsatz „Hindenburg und die deutsche Jugend“ bei, in welchem an zwei Stellen das in Bonn verwendete Motto auftauchte. Der Schlußabsatz lautete:

„Wie er, unser Hindenburg, sein ganzes Leben hindurch nur seinem deutschen Volke und Vaterland gelebt, so soll auch unser Streben dahin gehen, mit gleicher Liebe, gleichem Ernst, gleicher Hingabe und gleicher Entsagung unsere Kräfte fürs Vaterland einzusetzen, getreu seinem Vorbilde

„Nichts für uns, alles für Deutschland!“

Der Reichspräsident genoß unter fast allen Parteien den Ruf eines überparteilichen Repräsentanten des Volkes. Ein Teil der Parteien, die ihn bei seiner Wahl 1925 unterstützt hatten, hofften auf eine Restauration der Monarchie. Diese Hoffnungen wurden allerdings enttäuscht; und bei den Präsidentschaftswahlen 1932 war Hindenburg – gegen Hitler – der Kandidat der SPD und der bürgerlichen Mitte.

Als ehemaliger Generalfeldmarschall genoß Hindenburg bei allen sog. Wehrverbänden, von denen Stahlhelm und Reichsbanner die bedeutendsten waren, ein hohes Ansehen. Dort wird die von Kersten 1927 genutzte Fassung bald als Leitspruch verwendet, dringt dadurch in den allgemeinen politischen Sprachgebrauch der Zeit ein und gilt in der Presse ab etwa 1931 als ein direktes Zitat von Hindenburg.

Im Wittener Tageblatt vom 24. 6. 1931 taucht es als zentraler Sinnspruch im Bericht über eine Freiherr-vom-Stein-Gedenkfeier des Stahlhelms auf. Laut Velberter Zeitung vom 27. 2. 1932 nutzt es Stahlhelm-Führer Theodor Duesterberg in einer Rede. Durch die Bielefelder Volkswacht vom 17. 12. 1931 ist es parallel als „unsere alte Parole“ des republikanischen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold nachweisbar.

Im November-Wahlkampf 1932 warb die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in Altena auf Plakaten mit „Liste 5! Nichts für uns! Alles für Deutschland!“ Politische Gegner rissen den zweiten Satz heraus und es blieb „Liste 5! Nichts für uns!“ stehen (Altenaer Kreisblatt 2. 11. 1932).

Nach der NS-Machtübernahme 1933 gehört der Spruch zum Standardrepertoire bei öffentlichen Reden und Aufmärschen. Zunächst als „Parole von heute“, dann auch als „Wort des Führers“ (Altenaer Kreisblatt 13. 9. 1933), bis es ab 1934 fast nur noch als „authentisches“ Zitat Hitlers verwendet wird.

Die Altenaer Kreiszeitung meldet, wie viele andere Zeitungen in Deutschland am 5. 1. 1934 auch, daß SA-Stabschef Röhm dem Breslauer Obergruppenführer Heines den SA-Ehrendolch verliehen habe, der auf den Klingenseiten die Inschriften „Alles für Deutschland“ und „In herzlicher Kameradschaft Ernst Röhm“ trägt. Anläßlich einer Verleihung an den Reichssportführer und SA-Gruppenführer Hans von Tschammer und Osten erwähnt die Neue Mannheimer Zeitung am 9. 1. 1934, es handele sich um den „neugeschaffenen Ehrendolch“. Am 12. 1. 1934 melden die deutschen Zeitungen, daß ein Dolch mit der Aufschrift „Alles für Deutschland“ künftig Bestandteil der SA-Uniform wird. Der Dolch ist nicht im freien Handel erhältlich und wird teilweise in Solingen produziert. Am 7. 7. 1934 meldet die Bergische Zeitung, daß der Auftrag abgearbeitet worden sei.



Hinweise zu den Quellen: Die Erfassung digitalisierter Zeitungsbestände durch die Volltexterkennung macht immer weitere Fortschritte. Dieser kurze Überblick zur Begriffsgeschichte, wäre in dieser Form vor zehn oder 15 Jahren nicht möglich gewesen. Sämtliche hier angeführten Zeitungen lassen sich über die Volltextsuche folgender Zeitungsportale ermitteln:

  • https://zeitpunkt.nrw/ – ein Portal für Zeitungen aus NRW, ohne Berücksichtigung der bis 1945 geltenden Verwaltungsgrenzen. Die Qualität der Digitalisate ist nicht immer befriedigend; dafür ist die Menge des Materials einzigartig in Deutschland.
  • https://druckschriften-digital.marchivum.de/zd – eine qualitativ hochwertige Erschließung historischer Mannheimer Zeitungen mit einer ausgezeichnet strukturierten Suchfunktion. Vergleichbar mit der (hier nicht verwendeten) Zeitungssammlung der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe https://digital.blb-karlsruhe.de/blbz/zeitungen .
  • https://anno.onb.ac.at/anno-suche#searchMode=simple&from=1das österreichische Portal, welches Qualität und Quantität in einer Weise vereint, die es so in Deutschland nicht gibt. Erfaßt werden Zeitungen auch nichtdeutscher Sprache aus dem österreichischen Reichsteil (Cisleithanien) der Donaumonarchie.