Manchmal hilft ein Blick zurück bei der eigenen Standortbestimmung. Vor kurzem fiel dem Verfasser per Zufall ein kleines Büchlein „Der deutsche Parlamentarismus“ aus dem Jahre 1968 in die Hände. Dessen Verfasser Hans Apel war unter Helmut Schmidt von 1974 bis 1978 erst Finanz- und danach bis 1982 Verteidigungsminister gewesen.

Die Lektüre gewann eine unerwartete Aktualität durch einen Artikel im Wochen-Anzeiger vom 21. April. Die Fraktionssprecherin der Oberhausener GRÜNEN, Frau Opitz, hatte dort die Gelegenheit, ihre Kritik an der fortwährenden Selbstentmachtung des Stadtrates zu äußern. Worin die Aktualität besteht, werden wir unten aufzeigen (E. Noldus).

Der Text als pdf-Datei: 20210425_Pressefreiheit_B

Die Überlegenheit der Demokratie

Apel hatte dem Leser eine Mischung aus geschichtlichem Rückblick und Beschreibung des aktuellen Systems dargeboten. Ungeachtet eines gelegentlich durchscheinenden parteipolitischen Standpunktes bietet diese kleine Schrift interessante Einblicke und Anregungen zum Nachdenken. So merkt er beispielsweise auf S. 53 zur Rolle der Opposition an:

„Wenn überhaupt irgendwo, dann liegt in der Tatsache des Vorhandenseins einer starken Opposition als Gegenspieler einer starken Regierung die Ursache der Überlegenheit der Demokratie als Organisationsform differenzierter Industriegesellschaften im Vergleich zu autoritären oder totalitären Staaten. Die Regierenden sind öffentlicher Kritik und Beobachtung fortlaufend ausgesetzt und müssen ihr Bestes geben, wenn sie nicht durch die Opposition ersetzt werden wollen. Der Widerstand gegen die Regierenden kann sich für den Staat und die Gesellschaft produktiv bei der Opposition niederschlagen und landet nicht in ökonomischer, sozialer oder faktischer Verbannung.“

Etwas später (S. 61) zitiert Apel die grundlegenden Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie sie vom Bundesverfassungsgericht formuliert worden sind; darunter auch „die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.

Die Rolle der Pressefreiheit

In einem eigenen Kapitel beschäftigt sich Apel mit der Pressefreiheit, die – per Grundgesetz garantiert – den Journalisten Zugang zu allen möglichen Informationsquellen und zudem eine ungefährdete Kritik von Personen oder Institutionen gewährleiste. Der Tatsache, daß ein Journalist seine eigene Meinung vertrete und somit selbst Partei ist, stellt Apel in Anlehnung an den bayrischen SPD-Politiker Waldemar von Knoeringen die ideelle Forderung entgegen, Journalisten hätten „ehrliche Makler“ sowie Spezialisten zur Betreuung des geistigen Austauschs in der Gesellschaft zu sein. Mit Adolf Arndt ist er der Meinung, nicht der öffentliche Auftrag rechtfertige die Pressefreiheit. Vielmehr sei es der im Grundgesetz verankerte Anspruch des Bürgers, sich mittels Presse, Funk und Fernsehen frei äußern und unterrichten zu können.

Allerdings ist Apel Realist genug, um nicht zu erkennen, daß ideelle Forderungen oder Normen kaum genügen würden. Praktisch sieht er in der Konkurrenz der Zeitungen untereinander den Garanten für Pressefreiheit und Meinungsvielfalt. Leider sei eine Tendenz zur Konzentration aus wirtschaftlichen Gründen erkennbar, welche die Pressefreiheit gewissermaßen von innen heraus gefährde, denn: Monopole widersprächen dem ursprünglichen Auftrag der Presse und bedrohten die Funktionsfähigkeit der demokratischen Ordnung.

Eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion beantwortete die Bundesregierung am 7. 6. 1967 wie folgt:

„Das Grundrecht der Pressefreiheit ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht bedroht. Bei weiterem Wegfall selbständiger Tageszeitungen könnten sich jedoch im Bereich der Presse Meinungsmonopole bilden, so daß die Pressefreiheit dadurch gefährdet wäre. Gesetzgeberische Maßnahmen wird die Bundesregierung aber erst erwägen, wenn der Bericht der von ihr berufenen Sachverständigenkommission vorliegt und zu entsprechenden Schlußfolgerungen veranlaßt.“

Maßnahmen seien, so Apel, bisher nicht erfolgt. Aber die Fusion im Zeitungswesen schreite fort, da harte und wirtschaftliche Tatsachen ihr eine gewisse Zwangsläufigkeit verliehen. Über die Möglichkeiten des Gesetzgebers zum Abstoppen dieser Entwicklung dürfe man sich allerdings keine Illusionen machen: „Hier sind ökonomische Gesetzmäßigkeiten am Werk, die nur zum Teil außer Kraft gesetzt werden können.“

Im Kapitel „Die Lehren der Vergangenheit“ macht Apel an einer Stelle deutlich, welcher Stellenwert der Pressefreiheit für eine funktionierende Demokratie zukommt:

„Verstärken die Regierenden dagegen zunehmend ihre Machtposition, so führt der Weg direkt in den Totalitarismus. Über die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die Manipulierung der Massenmedien und ihrer Aussagen bis hin zu massiven Eingriffen in die Rechtsstaatlichkeit gibt es eine breite Skala der Möglichkeiten von einem autoritären Regime mit beschränkter „Schimpffreiheit“ bis hin zu den Henkern und Konzentrationslagern der totalen Diktatur.“

Und Oberhausen?

Bekanntlich wird Oberhausen seit einem Jahr vom Haupt- und Finanzausschuß regiert, da sich der Stadtrat mit schöner Regelmäßigkeit auf Geheiß der beiden großen Parteien CDU und SPD samt einiger Mitläufer selbst mit Zweidrittelmehrheit entmachtet. Die AfD-Ratsfraktion hat seit ihrem Bestehen, mithin seit der ersten Ratssitzung am 16. 11. 2020, durch einen eigenen Antrag und danach durch ihr Abstimmungsverhalten klar aufgezeigt, daß sie dieser Selbstentmachtung des Rates sehr kritisch gegenübersteht. Der Stadtverordnete Noldus hat die Gründe dafür in seiner Antragsbegründung dargelegt.

In dem oben erwähnten Artikel des Wochen-Anzeigers hat Frau Opitz (GRÜNE) nun ausgeführt:

„Der Haupt- und Finanzausschuß – und alle Fachausschüsse – bilden lediglich die verkleinerte Abbildung des Rates nach. Die Spiegelbildlichkeit möglicher Mehrheiten wird somit künstlich beschnitten. Dieses Verfahren ist zwar für die Dauer der pandemischen Lage rechtens, aber ein weiterer Aufschub stellt unserer Meinung nach eine massive Einschränkung der politischen Willensbildung dar, vor allem da der Wille der Wählerinnen und Wähler nicht gewahrt wird.“

Wir können nicht umhin, dieser Argumentation eine gewisse Schwäche zu attestieren. Ist die Kompetenzverlagerung infolge der pandemischen Lage gerechtfertigt, dann ist sie es auch weiterhin. Es ist mithin nicht einzusehen, warum Frau Opitz ausgerechnet jetzt den Willen der Wähler gewahrt sehen möchte. Die AfD hingegen sieht in der Wahrung des Wählerwillens auch und gerade unter schwierigen Bedingungen die vornehmste Aufgabe des Stadtrates.

Frau Opitz verschweigt den Lesern des Wochen-Anzeigers, daß eine rot-rot-grüne Koalition im Stadtrat mit 30 von 59 Stimmen ihrem Lieblingsprojekt „Seebrücke“ zum Siege verhelfen würde. Im Haupt- und Finanzausschuß stehen sich bei gleicher Konstellation 11:11 Stimmen gegenüber.

Nachdem die CDU in der Rats- bzw. HFA-Sitzung vom 8. Februar hat erkennen lassen, daß sie zumindest nicht aktiv die „Seebrücke“ unterstützen würde, hatte es für die GRÜNEN-Fraktion danach keinen Sinn mehr, der Kompetenzverlagerung weiter zuzustimmen. Und plötzlich entdeckten sie den Willen des Wählers!

Warum wird nun seit längerem die Haltung der AfD in der Frage der Kompetenzverlagerung in der Lokalpresse nicht abgebildet?

„Ehrlicher Makler“ oder „Partei“?

Der geradezu klassische Begriff der Gewaltenteilung als konstitutives Merkmal der Demokratie – als Dreiheit Judikative, Exekutive, Legislative gedacht – wird oft durch die Hinzuziehung der Presse als der „vierten Gewalt“ erweitert. Apels Forderung an die Presse, die Rolle des „ehrlichen Maklers“ einzunehmen“ und damit dem grundgesetzlichen Anspruch des Bürgers auf Freiheit der Meinung und der Information zu genügen, ist eine ideelle Forderung an die „vierte Gewalt“.

Die Pluralität im Pressewesen garantiert nicht nur, gewissermaßen im freien Spiel der Kräfte, die Qualität der Information, sondern sie ist geradezu eine Voraussetzung dafür, daß der ideelle Anspruch auch tatsächlich umgesetzt wird. Diese Position Apels erklärt dessen Sorgen vor Monopolbildungen in diesem Bereich.

In Oberhausen ist diese Monopolbildung faktisch seit etwa Mitte der 1960er Jahre verwirklicht, da nur noch zwei Zeitungen – NRZ und WAZ – der Funke Medien-Gruppe existieren. Parteipolitisch gebunden, erfolgt die Auswahl der veröffentlichten Informationen nicht mehr dem oben von Apel formulierten Anspruch des Bürgers, sondern nach anderen Gesichtspunkten. Der „ehrliche Makler“ ist selbst Partei geworden und garantiert die Pressefreiheit lediglich innerhalb eines Meinungskorridors. Das Bonmot von dem Unterschied zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung findet hier seine innere Berechtigung.

Um es einmal andersherum zu sagen: Es ist nicht der parteipolitisch gebundene Standpunkt das Problem, sondern das jegliche Fehlen von Alternativen im Bereich der Printmedien. Oder, wie die Bundesregierung festgestellt hat: Zeitungsmonopole gefährden die Pressefreiheit.

Auch der Wochen-Anzeiger ist Bestandteil des Monopols, wie sich idealtypisch an der Person von Karin Dubbert festmachen läßt. Die Redakteurin des Wochen-Anzeigers ist zugleich Stadtverordnete der CDU. Es wäre wohl ein bißchen zuviel verlangt, daß sie als Redakteurin die Interessenlagen ihres politischen Mandates verleugnete. Aber damit ist sie selbst Partei und nicht mehr die „ehrliche Maklerin der vierten Gewalt“.

Was tun?

In dieser Feststellung ist die Antwort auf die eingangs gestellte Frage enthalten: Das Totschweigen ist die Konsequenz einer Pressefreiheit unter Monopolbedingungen. In der praktischen Politik fehlt es an einer starken Opposition, die sich auch als solche versteht. Damit fehlt die nach Apel notwendige, die Regierenden zu Leistungen antreibende öffentliche Kritik. Eine faktische Zweiparteienherrschaft beschränkt sich auf den eigenen Machterhalt. Es wird die zukünftige Aufgabe der AfD sein, sich in die Rolle einer starken Opposition als Gegenspielerin einer starken Regierung einzufinden und als solche auch wahrgenommen zu werden.