Vor Beginn der Ratssitzung des 13. Dezember gab es eine Premiere für die AfD-Fraktion, denn eine Aktuelle Stunde hatte man bis dahin noch nicht erlebt. Interessanter als das, was gesagt wurde, war das, was nicht gesagt wurde. Von E. Noldus.

Der Text als pdf-Datei: 20211215b_Rat_Aktuelle_Stunde_20211213

Das Thema.

Nach § 8 der Geschäftsordnung für den Rat der Stadt Oberhausen können Stadtverordnete „zu einem aktuellen Thema eine Aussprache beantragen.“ Es dürfen in dieser „Aktuellen Stunde“ bis zu drei Themen behandelt werden, wobei die Gesamtdauer eine Stunde nicht überschreiten darf.

LINKE und GRÜNE hatten unabhängig voneinander eine am 28./29. November vollzogene Abschiebung zum Thema gemacht. Die LINKE fragte in dem Zusammenhang an, „aus welchen Gründen es zur Zeit zu vermehrten Abschiebungen kommt und sogar Nachtabschiebungen durchgeführt werden.“

Grundsätzlich sprachen beide Rednerinnen – Frau Hansen für die LINKE und Frau Louisa Baumann für die GRÜNEN – davon, daß die Abschiebung, vom moralischen Standpunkt betrachtet, in der erfolgten Form verwerflich gewesen sei. Während sich Frau Hansen aber auf die Betonung des Moralischen beschränkte und sich in ihren Vorwürfen gegen das Ausländeramt bis zur Behauptung steigerte, das Amt habe sich als unfähig erwiesen, argumentierte Frau Baumann auch juristisch.

Nach § 29 Absatz 1 der Dublin-III-Verordnung hat eine Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedsstaat (hier: die BRD) an den zuständigen Staat (hier: Kroatien als dem Staat, in welchem der Antragsteller den ersten Asylantrag stellte) innerhalb von sechs Monaten zu erfolgen.

Frau Baumann behauptete, daß danach die BRD zur Durchführung des Verfahrens verpflichtet sei. Juristisch sei die Abschiebung daher anfechtbar.

Für die SPD ergriff Frau Silke Jacobs das Wort. Auch sie erschöpfte sich in einer moralischen Bewertung und behauptete, in Kroatien würden Flüchtlinge an der Grenze mit Warnschüssen und Gummiknüppeln abgewiesen werden. In ein solches Land dürfe man nicht abschieben. Gleichzeitig attestierte sie den Kroaten, nette Leute zu sein.

Hier sei nur die kurze Zwischenfrage erlaubt, wie es dann der afghanischen Familie – trotz Warnschüsse und Gummiknüppel – gelingen konnte, in Kroatien einen Asylantrag zu stellen.

Die Stellungnahme der Verwaltung.

Für die Verwaltung antwortete der Beigeordnete Jehn als der für das Ausländeramt zuständige Bereichsleiter. Er legte dar, daß die Familie im Oktober 2019 eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe, und den hiesigen Behörden der in Kroatien gestellte Antrag bekannt gewesen sei. Nach einer Anfrage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hätten sich die kroatischen Behörden für zuständig erklärt. Danach sei der hier gestellte Asylantrag abgelehnt und im Januar 2020 auch der eingelegte Widerspruch gegen die Ablehnung zurückgewiesen worden. Spätestens dann sei der Familie klar gewesen, nach Kroatien zurückkehren zu müssen.

Nach diesen Darlegungen, die hier nur in groben Zügen wiedergegeben worden sind, entschuldigte sich der Beigeordnete Jehn wortreich für die Art und Weise, wie die Abschiebung selbst durchgeführt worden sei. Er werde schließlich den Vorgang „behördenintern aufarbeiten“ und „persönlich mit der Ausländerbehörde in Gespräche einsteigen.“ Auch zeigte er sich offen für die Forderungen der LINKEN und GRÜNEN, daß die Ausländerbehörde in einen regelmäßigen Informationsaustausch mit Vertretern von Flüchtlingsorganisationen treten müsse.

Mit Blick auf die von den LINKEN vorgetragene Behauptung vermehrter Abschiebungen hatte der Beigeordnete Jehn erklärt, von 2018 bis 2021 seien 129, 50, 30 und 46 Abschiebungen vorgenommen worden. Gründe für vermehrte Abschiebungen vermochte er nicht zu erkennen.

Die Haltung der AfD.

Danach sprach der Stadtverordnete Lange zum Thema. Die Rede ist in ihrem Wortlaut im Anhang komplett dokumentiert. Im Grundsatz erklärte er, daß hier das Ausländeramt rechtmäßig gehandelt habe und bemerkte, daß in Oberhausen rund 1000 abgelehnte Asylbewerber lebten – eine Zahl, welche die von Herrn Jehn genannte Abschiebestatistik einzuordnen hilft.

Nach Beendigung der Rede hielt der Stadtverordnete Karacelik (LINKE) seinen üblichen Kurzvortrag über die rechtsextreme und menschenfeindliche Haltung der AfD. Den Hinweis auf den faschistischen Charakter dieser Partei vergaß er dieses Mal.

Der Stadtverordnete Kempkes (AfD) hob demgegenüber hervor, daß die AfD-Fraktion den Vorgang maßgeblich danach beurteile, daß man hier nach Recht und Gesetz verfahren sei. Im übrigen sei es wohl der Geschichte der Partei des Herrn Karacelik geschuldet, daß dieser offensichtlich ein völlig anderes Rechtsverständnis hege.

Den Schluß dieser Debatte bildete eine Verständigung der beiden Initiatoren der Anfragen mit dem Beigeordneten Jehn, daß man künftig diese Form der Abschiebung vermeiden wolle und eine Hinzuziehung von Flüchtlingsvertretern anstrebe.

Grundsätzliche Anmerkungen zum Rechtsverständnis.

Wir wollen abschließend noch einmal die im Hintergrund stehenden, doch gleichwohl tragenden Ideen bei der Beurteilung dieses Vorgangs verdeutlichen und greifen dabei auf die Äußerungen zweier unverdächtiger Juristen zurück.

In einem WAZ-Interview vom 13. 10. 2018 hat der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgericht, Hans-Jürgen Papier, festgestellt, immer mehr Menschen verlören das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen. Als Ursache machte er die Erosion der „Herrschaft und Durchsetzung des Rechts“ aus und bezog sich zur Verdeutlichung nicht zufällig auf das Asylrecht:

„Es gibt seit Jahren eine Diskrepanz zwischen dem, was geltendes Recht gebietet oder verbietet, und dem, was in Deutschland und Europa tatsächlich praktiziert wird. Auf den Gebieten Migration und Asyl wird das am deutlichsten… Gesetzliche Ausreisepflichten von Personen ohne einen aufenthaltsrechtlichen Status werden vielfach noch immer nicht durchgesetzt.“

Anfang Juli 2019 hatte der Ordnungsdezernent Motschull sein jetziges Dezernat übernommen und in einem Interview laut WAZ vom 19. 7. 2019 erklärt:

„Selbst als Jurist kann ich nicht nachvollziehen, daß Asylbewerber so viele Möglichkeiten haben, gegen eine Entscheidung vorzugehen. Bei einer Straftat hat man in der Regel zwei Instanzen, in dem Asylrecht-System hat man viel mehr Möglichkeiten.

Natürlich geht es um menschliche Schicksale, aber wenn zwei Prüfungsebenen durchlaufen worden sind und beide meinen, der Aufenthaltsstatus ist nicht gegeben, dann ist das nach meiner Meinung rechtsstaatlich ausreichend festgestellt.“

Im weiteren Verlauf des Interviews erläuterte der Beigeordnete u. a. die juristisch im Laufe der Zeit immer höher gelegten Hürden bei Abschiebungen.

Ein WAZ-Artikel mit Nuancen.

Die weiße Journalistin Nadine Gewehr versuchte in ihrem WAZ-Artikel vom 14. Dezember mit der für ihre Absichten gut gewählten Überschrift „Abschiebung: Empörung über AfD-Reaktion“ vom Kernthema abzulenken und die AfD-Fraktion zur Zielscheibe der üblichen Leserbriefschreiber aus dem linksgrünen Milieu zu machen. Tatsächlich hatte die Frage des Stadtverordneten Lange, was so schlimm an einer Abschiebung in das Urlaubsland Kroatien (das hatte er definitiv genannt) sei, Empörung ausgelöst.

Diese Empörung tritt immer dann auf, wenn man es unternimmt, die Doppelmoral dieser selbstgerechten Weltverbesserer öffentlich aufzuspießen. Wir können der etablierten Scheinheiligkeit an dieser Stelle nur empfehlen, auf den im März des Jahres zurückgezogenen Antrag zurückzukommen, Oberhausen zum „Sicheren Hafen“ zu erklären und sich dabei auf die im Rat vorhandene Mehrheit von 30 Stimmen zu stützen.

In den Leserbriefen bzw. Kommentaren im Internet war nicht die AfD das Thema, sondern die Abschiebung selbst. Allerdings stellte die große Mehrheit – wohl eher zur Enttäuschung von Frau Gewehr – die Frage, was an einer rechtmäßigen Abschiebung denn auszusetzen sei.

Noch einige Anmerkungen.

In der Sitzung selber verdient die Reaktion des Beigeordneten Jehn Beachtung. Bekanntlich wurde er im Sommer 2019 maßgeblich auf Betreiben der SPD auf seinen jetzigen Posten berufen. Seine Bekundungen des Bedauerns über die erfolgte Abschiebung besaßen einen schalen Beigeschmack. Denn einleitend hatte er eingehend die juristische Rechtfertigung für die Abschiebung geliefert, um dann anzukündigen, den Vorgang „behördenintern aufzuarbeiten“ und „persönlich mit der Ausländerbehörde in Gespräche einzusteigen.“

Diese Ankündigung bedeutete nichts anderes, als daß der Beigeordnete die Verantwortung für die Handlungen einer ihm unterstellten Behörde nicht übernahm und sie öffentlich desavouierte.

Deshalb sei an dieser Stelle an elementare Grundsätze erinnert: Dem Recht, Weisungen zu erteilen, steht die Pflicht der Untergebenen gegenüber, diesen nachzukommen. Andererseits hat auch der Vorgesetzte eine Pflicht den Untergebenen gegenüber; nämlich die der Fürsorge. Das kann auch das Einstehen für die Untergebenen bedeuten, die Fehler begangen haben. Es ist klar, daß mit einer so verstandenen Führung das Maß der Verantwortung wächst, je höher man steigt. Wer aber die damit verbundene Verantwortung zu tragen nicht bereit ist, sollte sich lieber mit einem subalternen Posten bescheiden.

Von der CDU, die mit der SPD zusammen faktisch Oberhausen regiert und auch den Bürgermeister stellt, war in dieser Aktuellen Stunde nichts zu hören. Wir erkennen darin die Handschrift einer Frau Stehr, die verschiedentlich hat erkennen lassen, kontroversen Themen aus dem Wege zu gehen. Offenbar ist „Migration“ und alles, was damit zusammenhängt, ein solches Thema, welches innerhalb der Oberhausener CDU Bruchlinien erkennen lassen würde.

Schweigsam blieben auch die Vertreter von FDP, BOB und der Stadtverordnete Horn. Während Herr Horn nur einmal im Jahr – aus Anlaß der Haushaltsrede – zu hören ist und die beiden BOB-Vertreter sich nur selten zu Wort melden, war das Schweigen von Herrn Hoff doch verwunderlich. Herr Hoff beteiligt sich gerne und ausgiebig an Debatten sowohl in „seinen“ Ausschüssen als auch im Rat. Auch wenn er sich manchmal in Allgemeinplätzen verliert, sind seine Beiträge konstruktiv und sachbezogen, was sich dann im weiteren Verlauf der Sitzung in seiner von Teilen der AfD-Fraktion mit Beifall bedachten Haushaltsrede wieder einmal gezeigt hat.

Es wäre immerhin interessant gewesen, zu erfahren, wie die vom Beigeordneten Jehn signalisierte Zustimmung zu „Runden Tischen“ des Ausländeramtes mit Asyllobbyisten bei CDU, FDP, BOB und durch den Stadtverordneten Horn bewertet wird. Schließlich bedeutet der von LINKEN und GRÜNEN offen geforderte „Informationsaustausch“ nichts weniger als aktive Beihilfe zur Verhinderung von gesetzmäßigen Abschiebungen. Wem das als falsche Behauptung erscheint, kann es selbst im Internet mit Leichtigkeit nachprüfen.


Anlage:

Rede des Stadtverordneten Lange (AfD) in der Ratssitzung des 13. 12. 2021 aus Anlaß der Aktuellen Stunde zur Abschiebung einer afghanischen Familie aus Oberhausen.

„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren!

Abschiebungen nach dem Dubliner Übereinkommen sind völkerrechtlich geregelt und benötigen daher keine Zustimmung der Grünen oder der Linken.

Die AfD-Ratsfraktion sieht diese vollzogene Maßnahme als sinnvoll an, gibt aber auch zu bedenken, daß es sich hierbei um den berühmten Tropfen auf dem heißen Stein handelt.

Eine große Anfrage unserer Fraktion zeigte in diesem Jahr, daß bei 5000 Asylbewerbern, die in Oberhausen leben, ca. 1000 Menschen ausreisepflichtig sind.

Auch wenn es der Asylindustrie ein Dorn im Auge ist, so wurden hier doch einfach nur Recht und Gesetzt durchgesetzt.

Was soll daran schlimm sein, wenn Asylbewerber in Urlaubsländer wie Kroatien abgeschoben werden?

Warum hat man so lange damit gewartet?

Gerade ein üppig ausgestattetes Sozialsystem wie das unsere lockt die Menschen erst an und ist damit auch eine der Fluchtursachen.

Hier angekommen, können sie sich trotz geringer Erfolgschancen durch alle Instanzen klagen und sollten daher bei einem negativen Bescheid diesen auch akzeptieren.

Die gesamten Kosten der Prozesse müssen sie auch nicht selber tragen, denn das, meine Damen und Herren, übernehmen wir mit unseren Steuergeldern.

Die AfD sieht mit diesen Abschiebungen endlich mal ihre Forderungen durchgesetzt.

Es ist dazu noch sehr bedenklich wenn sich Vertreter der Stadt vor einem „Arbeitskreis Flucht und Migration“ wie vor der Inquisition verantworten müssen und sich dabei vorschreiben lassen sollen, wann und wie ein solcher Abschiebevorgang auszusehen hat.

Hier mögen in Zukunft bitte auch Vertreter der AfD anwesend sein, auch um gute Argumente vortragen zu können, die für eine Abschiebung sprechen.

Vielen Dank!“