Wie man Baumschutz organisiert, ohne Kommission und Satzung zu bemühen, zeigt die nachfolgend wiedergegebene Geschichte. Schauplatz: Südwestfrankreich 1935. Von E. Noldus.

Der Text als pdf-Datei: 20211122b_Platane_1935

In der letzten Ratssitzung – am 15. November – kassierte der Rat mehrheitlich gegen Einwände der Verwaltung den am 28. 6. 2021 gefaßten Ratsbeschluß B/17/0754-01, die Eisenbahnüberführung an der Kewerstraße aufzuweiten. Diese Aufweitung hätte die Fällung einer hundertjährigen Buche bedeutet. Nach Protesten der Anwohner formierte sich eine große Koalition um den Antrag A/17/1316-01 herum aus SPD, GRÜNEN, LINKEN, FDP und BOB mit dem Ziel, durch eine geänderte Planung den Erhalt der Buche zu gewährleisten.

Vor über 85 Jahren hatte sich ein ähnliches Problem in einem südfranzösischen Dörfchen ergeben. Die Geschichte, wie man dort zu einer Lösung gelangte, machte seinerzeit die Runde durch die deutschen Zeitungen. Die nachfolgende Fassung erschien am 17. Juni 1935 im Aachener Anzeiger.


Die 400jährige Platane von Saint-André de Cub

Volksaufruhr um einen Baum

RRG. Bordeaux, 17. Juni In dem kleinen südfranzösischen Landstädtchen Saint-André de Cub, das nicht weit entfernt von Bordeaux entfernt liegt, wäre es kürzlich beinahe zu einem regelrechten Aufstand der gesamten Einwohnerschaft gekommen. Und zwar handelte es sich nicht etwa um einen mißliebigen Abgeordneten, oder um unerwünschte Steuern, die zwangsweise eingetrieben werden sollten, sondern um einen Baum.

In Saint-André de Cub existiert nämlich eine Riesenplatane. Der Baum strebt bis in eine Höhe von 60 Metern, und am Fuße hat der Stamm einen Umfang von acht Metern. Aus Dokumenten, die im städtischen Archiv sorgfältig aufbewahrt werden, geht eindeutig hervor, daß diese Platane an die 400 Jahre alt ist. Kein Wunder, daß die Bewohner von Saint-André der Cub daher mit besonderer Liebe und mit großem Stolz an ihrem Prachtstück hängen.

Ein gefühlloser Egoist

Diese Platane stand so ziemlich im Zentrum des Städtchens, in einem Vorgarten, der zwar Privateigentum war, aber nach Sitte und Herkommen für die Oeffentlichkeit jederzeit zugänglich gewesen ist. Die Bewohner von Saint-André de Cub machten von dieser Vergünstigung auch reichlich Gebrauch und freuten sich, wenn sie sich ein Stündchen im Schatten ihrer Platane niederlassen konnten.

Bisher hatte es auch keiner der Besitzer des Hauses, zu dem der Vorgarten mit der Platane gehörte, gewagt, an diesem Zustand etwas zu ändern. Nicht einmal ein Zweig durfte von diesem Baum abgerissen werden.

Vor drei Monaten zog ein neuer Hauseigentümer ein. Der Mann muß ein gefühlloser Mensch gewesen sein, denn schon kurze Zeit nach seinem Einzug erklärte er, die weitausladenden Zweige der Platane nähmen ihm alles Licht weg, und so müsse denn der Baum niedergelegt werden.

Nächtlicher Alarm

Diese verständnislose Erklärung des neuen Besitzers rief einen wahren Sturm der Entrüstung hervor. Die Gemeinderatsmitglieder wurden bei dem Bürgermeister des Ortes vorstellig und setzten es durch, daß dem Hauseigentümer die Ausführung seines verbrecherischen Anschlages strikte verboten wurde. Trotzdem hatte die Bevölkerung noch kein rechtes Vertrauen.

Die Nachbarn des neuen Grundstückbesitzers verpflichteten sich freiwillig, eine Art Sicherheitsdienst einzurichten. Das heißt, alle zwei Stunden mußte eine Familie Wache halten, und genau darauf aufpassen, daß mit der Platane nicht hinten herum doch etwas geschah.

So kam es denn in einer der letzten Nächte tatsächlich zu einem Alarm. Einer der Leute wollte beobachtet haben, daß sich mehrere Arbeiter in der Dunkelheit mit Erdarbeiten um die Platane herum zu schaffen gemacht hatten.

Der Mann rannte daraufhin sofort durch die Straßen und mobilisierte die Bürgerschaft, die sich zum größten Teil bereits in die Betten begeben hatte.

Aber trotzdem stürzte alsbald alles aus den Häusern und sammelte sich, Verwünschungen und Drohungen ausstoßend, vor dem Villengrundstück. Es hagelte Steine, und verschiedentlich klirrten die Fensterscheiben. Wenn es nicht zu größeren Ausschreitungen der wütenden und empörten Volksmenge kam, so war dies nur dem mäßigenden Einfluß einzelner besonnener Männer zuzuschreiben.

Sogar das Ministerium des Innern in Paris ist inzwischen mit dieser Angelegenheit befaßt worden. Jedenfalls kämpfen die Bewohner von Saint-André de Cub entschlossen und geschlossen um die Erhaltung ihrer Jahrhunderte alten Platane.


Soweit diese Geschichte. Tatsächlich ist die „Platane de Robillard“ durch einen ministeriellen Erlaß am 19. 9. 1936 zum Naturdenkmal erklärt worden und steht heute noch.