In diesen Zeiten wird es immer schwieriger, einen kühlen Kopf zu bewahren. Manchmal hat man den Eindruck, daß unter den Journalisten nicht alle dazu in der Lage sind. Nachfolgend einige Gedanken zum gegenwärtigen Zustand und ein positives Gegenbeispiel aus alter Zeit als Anschauungsmaterial. Von E. Noldus.

Der Text als pdf-Datei: 20220118b_Impfgegner_Journalismus

„Die bei Corona-Leugnern, Weltverschwörern, Impfgegnern, Esoterikern, Antisemiten und Rechtsextremen beliebten ‚Spaziergänge‘ gegen die Pandemie-Politik der Regierungen starten nun auch in Oberhausen.“

So beginnt Peter Szymaniak, Chefredakteur der WAZ-Lokalredaktion, am 21. Dezember einen Bericht über das bevorstehende Ereignis – einen Protestmarsch gegen die Maßnahmen zur Einschränkung der individuellen Freiheit unter Berufung auf die Corona-Pandemie. So vielschichtig wie der Freiheitsbegriff sind unbestreitbar auch die Motive derjenigen, die nun jeden Mittwoch „einen Spaziergang machen“.

Alexander Marinos forderte in einer sogenannten Klartext-Kolumne „Ihr könnt nach Hause gehen!“ und stellte dazu fest: „Kein Dialog mehr, kein Verständnis mehr. Die sogenannten Spaziergänge sind unangemeldete Versammlungen, als solche illegal und mit Bußgeldern für jeden einzelnen Teilnehmenden zu belegen.“1

Der das fordert, ist WAZ-Vize-Chefredakteur, was erschreckend und bezeichnend zugleich ist. Marinos hält es für ein Kennzeichen von Diktaturen, daß bei Demonstrationen vermummte Gestalten aus schwarzen Autos springen, Demonstranten hineinzerren und für immer verschwinden lassen. Daß dieses bei den „Spaziergängen“ nicht passiere, sei ein Zeichen für Demokratie.

Die Gefahren für die Demokratie sind viel subtiler. Hans Apel, einst Minister unter Helmut Schmidt, hat in einem kleinen Buch „Der deutsche Parlamentarismus“ 1969 eine freie Presse als ein „wesentliches Instrument der Demokratie“ bezeichnet. Er führte zwei Begründungen der Pressefreiheit an, die wir hier summarisch ohne Autorenangaben wiedergeben:

Der Journalist habe wie jeder Staatsbürger das Recht, seine eigene Meinung all den anderen hinzuzufügen. Aber nicht dies, die Darlegung des eigenen Standpunktes, sei seine öffentliche Aufgabe. „Zuerst sind Journalist und Verleger ‚ehrliche Makler‘, Spezialisten zur Betreuung des geistigen Austauschs in der Gesellschaft.“

Eine andere Interpretation geht von der Feststellung aus, daß das Grundgesetz die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Bürger garantiere. Somit könne es einen öffentlichen Auftrag der Presse, wie soeben formuliert, nicht geben. Wer als Beauftragter handele, handele nicht mehr allein aus eigenem Antrieb. Nicht der öffentliche Auftrag rechtfertige die Pressefreiheit, sondern der im Grundgesetz verankerte Anspruch des Bürgers, sich frei äußern und unterrichten zu können.

Apel schloß daraus, daß eine informierende Rolle der Presse nicht erzwungen werden könne. Sie werde aber am ehesten durch die Konkurrenz der Zeitungen untereinander gesichert. Eine zunehmende Konzentration benannte er als eine Gefahr, welche die Pressefreiheit von innen her bedrohte. Es seien gesetzgeberische Maßnahmen notwendig, um den Konzentrationsprozeß, den Apel übrigens systembedingt in Analogie zu wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen für tendenziell unumkehrbar hielt, zu verlangsamen.

Der bei Apel erkennbare Bezug auf ethische Normen als Basis des Journalismus mag heute antiquiert wirken und vielleicht sogar heuchlerisch. Jahrgang 1932, war Apel alt genug gewesen, um den Krieg bewußt zu erleben. Seine politische Prägung erhielt er durch Politiker, die über Biographien auch jenseits der Politik verfügten und überdies den Nationalsozialismus auch und vor allem als moralische Katastrophe erlebt hatten. Die Berufung auf allgemein verbindliche ethische Normen, auf moralische Werte, war ein Reflex jener Erfahrungen und mitnichten heuchlerisch.

Die heutigen Journalisten sind in einer Zeit groß geworden, die die Zertrümmerung von Normen zur Norm erhoben hat. Politisch in der übergroßen Mehrheit im linksgrünen Spektrum weltanschaulich beheimatet, geht damit ihr messianisches Sendungsbewußtsein einher, im Besitz der letzten Wahrheiten zu sein. Der Durchschnitt muß erzogen werden, um dieser letzten Wahrheiten würdig zu sein. Daher die Unduldsamkeit, Schroffheit, Herabsetzung des Andersdenkenden, in mühsam unterdrückten journalistischen Wutausbrüchen sich entladend.

Warum kann man als Journalist nicht einfach mal berichten, ohne den Leser mit seiner Meinung und politischen Weltanschauung zu bevormunden? Wird dem so oft beschworenen „mündigen Bürger“ dadurch nicht doch ständig ein eigenes Urteilsvermögen abgesprochen? Liegt vielleicht nicht gerade darin der Hauptgrund verborgen, daß immer weniger Bürger den Leitmedien vertrauen? Wer als Journalist die „vierte Gewalt im Staate“ zu vertreten meint, muß diesem hehren Anspruch auch handwerklich genügen können.

Um einmal ein positives Beispiel zu geben, bringen wir hier einen Bericht, der am 6. 5. 1925 in der Essener Allgemeinen Zeitung anonym erschienen ist. Der Artikel ist mithin weder etwas besonderes hinsichtlich seines Niveaus noch anderweitig herausragend.

Das Thema hat einen aktuellen Bezug, ist aber natürlich hauptsächlich als historisches Dokument zu verstehen. Was allerdings beeindruckt und auch heute noch zumindest aus journalistischer Sicht bedenkenswert ist oder sein sollte, ist das Verschwinden des Berichterstatters hinter seinen Gegenstand.



Impfgegner-Vorträge

(Essener Allgemeine Zeitung 6. 5. 1925.)

Die Ortsgruppe Essen des Deutschen Reichsverbandes zur Bekämpfung der Impfung hatte zu öffentlichen Aufklärungs-Vorträgen eingeladen, die Montag abend in der Aula der Luisenschule stattfanden. Medizinalpolitiker Gerpheide sprach zunächst über die Gefahren der „Schutz“-Impfung. Er führte u.a. aus:

Das ganze Gebiet des staatlichen Gesundheitswesens wird von Mitgliedern des ärztlichen Berufsstandes beherrscht, die meistens ein Interesse an der Behandlung von Krankheiten bekunden. Das soll keine Herabsetzung des Ärztestandes bedeuten, sondern nur dartun, daß der größte Fehler darin besteht, daß ausschließlich Ärzte als Hüter der Gesundheit auftreten und demgemäß in Wohlfahrtsämtern, Stadtverwaltungen und Regierungen als Medizinalbeamte eine entscheidende Rolle spielen. Man hat mancherlei Fürsorgegesetze erlassen, und das Volk angeblich vor Schaden an der Gesundheit zu bewahren; in Wirklichkeit sind es Fürsorgegesetze für Ärzte. Das Gesetz betr. Regelung des Heilgewerbes wurde 1910 abgelehnt; ebenso erging es später dem Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Welche Rolle das Gesetzt über Krankenversicherung spielt, ist bekannt Seit 1874 besteht das Reichsimpfgesetz, dessen Grundlinien auf einer Fälschung der damals eingesetzten Kommission beruhen. Geradezu unerhört ist die mißbräuchliche Durchführung dieses Gesetzes, das nur mit geringer Mehrheit angenommen wurde, nachdem das Wort „Zwangsimpfung“ gestrichen und in § 15 das Wort „muß“ durch „soll“ ersetzt worden war. Desungeachtet sind schwere Bestrafungen erfolgt und den Volksgenossen Hunderttausende von Marken aus der Tasche gejagt worden. Die große Mehrheit des deutschen Volkes ist Gegner des Impfgesetzes.

Die Überwachung der Durchführung dieses Gesetzes liegt zur Zeit allerdings einem Manne aus dem Volke, dem aus Essen stammenden Wohlfahrtsminister Hiertsiefer ob, der aber nach neuzeitlicher Methode von seinen Geheimräten abhängig zu sein scheint. Ein sozialdemokratischer Antrag und eine Eingabe des Reichsverbandes verlangen Aufhebung jeglichen Zwanges und Einführung der Gewissensklausel auch für Preußen, wie es bereits in Hessen geschehen ist unter Hinweis auf England. Die Impfgegner vertreten den Standpunkt, daß kein Staat das Recht hat, von seinem Bürger etwas zu erzwingen, was Gefahr für seine Gesundheit ist. Die Gefahren der Impfung sind von ärztlichen Autoritäten auf Grund wissenschaftlicher Untersuchungen anerkannt; die Impfschäden werden auch in amtlichen Statistiken zugegeben. In Essen sind 1908 nach amtlicher Angabe 7 Todesfälle infolge Impfung zu verzeichnen gewesen. Ein Leipziger Arzt schätzt die Zahl der Todesfälle im deutschen Reich alljährlich auf 20.000.

Im Anschluß daran verliest der Redner zahlreiche Aussprüche von namhaften Ärzten, die sich mit der Impffrage beschäftigt haben. Merkwürdig ist, daß aus ärztlichen Impffreunden Impfgegner werden, sobald sich in der eigenen Familie Impfschäden bemerkbar machen. England und Schweiz haben keinen Impfzwang, und doch kommen dort nicht mehr Pockenfälle als in Deutschland vor, wenngleich der Durchgangsverkehr größer ist. Italiener und Japaner gelten als die bestgeimpften Völker der Welt, und trotzdem werden diese Länder von Pockenepidemien heimgesucht. Über die Schutzzeit der Pockenimpfung ist man bei uns auch nicht im Klaren. Der Redner schildert die Erzeugung der Lymphe und erwähnt, daß auf Betreiben der Landwirte 1880 das Verbot der Schafpockenimpfung erlassen wurde, weil ganze Schafherden ihr zum Opfer fielen. Zum Schluß beantwortet der Vortragende die Frage: „Gibt es denn einen Schutz gegen die Pocken?“ mit Ja. Außer Besserung der allgemeinen hygienischen Verhältnisse sind es homöopathische Mittel, wie sie in mehreren Staaten Amerikas eingeführt worden sind. Vor allem aber gilt es den Kampf gegen das Reichsimpfgesetz zu führen und von den Vertretern des Volkes in den Parlamenten zu fordern, daß sie das Volk endlich davon befreien.

Musikdirektor Ziegler verbreitete sich dann über die Frage: „Wie verhalte ich mich einer Impfaufforderung gegenüber?“ Im Gegensatz zum Vorredner hält er dafür, daß das beste und einfachste Schutzmittel gegen Pockenerkrankungen die naturgemäße Lebensweise ist. Den Impffreunden unter den Ärzten ruft er zu: „Laßt uns Impfgegner mit Familien doch an den Pocken zugrunde gehen. Eine Garantie des Schutzes übernimmt keiner, weder Ärzte noch Behörden.“ Unsere einzige Hoffnung ist, daß das Impfgesetz bis zum 31. Dezember d. J. , der längsten Frist der diesjährigen Impfung, beseitigt ist.