In einem früheren Artikel hatten wir einen Antrag der GRÜNEN zum Anlaß der Feststellung genommen: Luise Albertz war divers! Es ging um einen ideologisch gefärbten Rechercheauftrag an das Stadtarchiv. Von E. Noldus.
Der Text als pdf-Datei: 20230930b_Albertz_Diversitaet
Vorrede: Historiker als Wasserträger der Politik?!
In der Sitzung des Kulturausschusses am 22. 11. 2022 hatten die GRÜNEN einen Antrag vorgelegt (A/17/2795-01). Er lautete in der Originalschreibweise:
„Rechercheauftrag an das Stadtarchiv: Oberhausens ehemaligen Einwohner*innen aus feministisch, kulturell und sexuell diverser Perspektive“
Man wollte für die „diverse und weltoffene Stadtgesellschaft“ unter dem Motto „Oberhausen ist bunt!“ offenbar Vorbilder in der Vergangenheit aufspüren, nämlich „Einwohner*innen mit einem feministischen, kulturellen oder sexuell diversen öffentlichen oder privaten Engagement für eine weltoffene Stadtgesellschaft in Oberhausen“.
Diese Art der historischen Forschung findet ihre Vorbilder in totalitären Systemen. So hatte beispielsweise die Geschichtsforschung in der DDR den Auftrag, die herrschenden Verhältnisse aus der Vergangenheit heraus zu legitimieren und die Überlegenheit des Marxismus-Leninismus gegenüber westlichen Demokratien zu beweisen. Insgesamt ein eschatologisches, also im religiösen Sinne heilsgeschichtliches Weltbild mit der Vision der klassenlosen Gesellschaft als dem Endpunkt aller Entwicklung der Menschheit.
Am 23. 4. 2023 fragte der Verfasser an, ob unter dem Stichwort „Liste Diversität“ bis zum 24. 2. 2023 Vorschläge (mit Begründung) eingegangen seien. In der Antwort wurde eine Berichtsvorlage für den 30. 8. 2023 (Gleichstellungsausschuß) sowie für den 31. 8. 2023 (Kulturausschuß) angekündigt.
Da in der betreffenden Kulturausschußsitzung nichts vorgelegt worden war, fragte der Verfasser am 28. 9. 2023 beim Stadtarchiv nach. Demnach haben Stadtarchiv und Gleichstellungsstelle bis Mai 2023 gemeinsam Kriterien entwickelt, nach denen Personen aus Oberhausen in eine Liste aufgenommen werden und auf dieser Basis eine Liste im Entwurf fertig gestellt.
Nach einer Beratung mit der städtischen Datenschutz-Beauftragten habe man festgestellt, daß die datenschutzrechtlichen Fragen nicht so ohne weiteres vollständig geklärt werden konnten. Historische Persönlichkeiten unterlägen einer datenschutzrechtlich anderen Bewertung; und diese Bewertung mit Bezug auf Personen aus Oberhausen führe zu praktisch schwierigen datenschutzrechtlichen Fragestellungen.
Allgemein soll die Liste eine Angabe zum sog. Diversitätskriterium, welches der Aufnahme in die Liste zugrunde lag, enthalten. An Biographien bzw. Kurzbiographien sei nicht gedacht. Aus fachlicher Sicht sei der Antrag in seinen Formulierungen ergänzungs- bzw. auslegungsbedürftig gewesen, um zu einem ersten Ergebnis zu gelangen.
Oberhausens erste Schachspielerinnen.
In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre spielte ein „Fräulein Steffen“ beim Oberhausener Schachverein, der heute die Jahreszahl „1887“ in seinem Namen führt. In ihrer Spielstärke gehörte sie zum Mittelfeld der Vereinsspieler. Weder ihr vollständiger Name noch ihr späterer Verbleib ist überliefert, aber eine Photographie von der Jahreshauptversammlung des Vereins am 2. 4. 1927 im Café Peitsch auf der Marktstraße 95 zeigt sie am Kopfende der hufeisenförmig aufgestellten Tische neben dem letzten Mitbegründer, Franz Paßmann. „Fräulein Steffen“ blieb älteren Vereinskameraden noch lange als einzige Schachspielerin Oberhausens im Gedächtnis.
Die im Sommer 1940 gegründete Werkschachgemeinschaft der GHH Sterkrade verfügte eine Zeitlang über eine eigene Damenabteilung mit 13 Spielerinnen (National-Zeitung 19. 10. 1940) unter Leitung von Fräulein Marta (oder Maria) Miske.
Am 22. 9. 1940 fand im Rahmen einer KdF-Schachveranstaltung ein Wettkampf der Betriebssportgemeinschaften GHH Oberhausen gegen GHH Sterkrade statt, den Oberhausen mit 18,5:6,5 Punkten für sich entscheiden konnten. Erstmals, so der Bericht im Generalanzeiger vom 24. 9. 1940, spielten auch drei Frauen mit. Berichterstatter Erwin Schmidt kommentierte:
„Diese drei – Fräul. Bartels, Osterfeld, Miske und Bergmann, Sterkrade – teilen mit den Männern die Liebe zum Schach und werden, was zu wünschen wäre, die ersten von den vielen sein, die in Zukunft diesem Spiel huldigen. Wenn ihnen am Sonntag kein Sieg vergönnt war, wird intensive Schulung – ihre Anlage läßt das erkennen – sie zu guten Spielerinnen werden lassen. Mögen viel ihrem Beispiel folgen, damit das königliche Spiel nicht mehr nur als ein Spiel der Männer bezeichnet werden kann.“
Obwohl es eine erstaunlich ausführliche Berichterstattung bis ins Jahr 1942 gegeben hat, sind diese drei Spielerinnen nicht wieder nachweisbar. Nach dem Beginn des Rußland-Krieges litten alle Vereine und Betriebsschachgemeinschaften unter einer massiven Auszehrung. Spätestens 1943 brach der reguläre Spielbetrieb zusammen und nach einem kurzzeitigen Zwischenhoch im Frühjahr wurde er im September 1944 vollkommen eingestellt.
Luise Albertz – eine biographische Ergänzung.
Vor diesem Hintergrund scheint die nachfolgende biographische Ergänzung ein Hinterherlaufen hinter dem Zeitgeist zu sein. Denn diese Ergänzung würde zweifellos ein „Diversitätskriterium“ darstellen, hätte Luise Albertz nicht das ungleich größere Verdienst erworben, die erste Oberbürgermeisterin einer westdeutschen Großstadt gewesen zu sein.
Andererseits wäre es schade, die nachfolgende Ergänzung nicht zu diesem Anlaß, dem Antrag der GRÜNEN, der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, denn nach einer ersten Einschätzung des Stadtarchivars scheint die Biographie dieser bedeutsamen Frau nicht so gut erforscht zu sein, wie man das eigentlich erwarten sollte.
Luise Albertz wurde am 22. 6. 1901 in Duisburg als Tochter des Tischlers und späteren Stadtverordneten von Oberhausen bzw. SPD-Landtagsabgeordneten Hermann Albertz geboren. Über weitere biographische Details wollen wir uns nicht auslassen, sondern steuern direkt auf die Problemkomponistin zu.
Der Vater, Hermann Albertz, war im Ersten Weltkrieg Soldat. Im Oberhausener Generalanzeiger ist am 15. 11. 1915 die Verleihung des Eisernen Kreuzes (EK II) „auf dem westlichen Kriegsschauplatze“ für „Vizefeldwebel Hermann Alberts, dem Filialleiter der Niederrheinischen Arbeiterzeitung“, gemeldet worden. In der Preußischen Verlustliste Nr. 880 vom 10. 7. 1917 ist eine leichte Verwundung des Vizefeldwebels aufgeführt. Es klingt ein wenig platt, aber tatsächlich hat das Schachspiel unter den Soldaten des Weltkrieges eine außerordentliche Verbreitung gefunden, die dann durch eine außerordentlich hohe Zahl an Vereinsgründungen ab den frühen 1920er Jahren ihren beredten Ausdruck gefunden hat.
Als Schachspieler sind weder Hermann Albertz noch seine Tochter irgendwo nachweisbar, aber das schließt die Kenntnis des Spiels und die Vermittlung an seine Tochter nicht aus.
Ein gewisser Heinrich Albertz aus Essen-West ist ab 1923 als Problemkomponist in der Essener Arbeiter-Zeitung nachweisbar und als solcher in der Szene der Essener Problemisten in den frühen 1930er Jahren eine bekannte Größe. Eine Verwandtschaftsbeziehung läßt sich nicht nachweisen; es handelt sich wohl eher um eine zufällige Namensgleichheit.
Als Problemkomponistin taucht Luise Albertz erstmals in der Schachspalte in „Der Neue Tag“ auf. Die Zeitung erscheint in mehreren Städten mit der Sonderbeilage „Die Bastion“, die eine von Theodor Lechtenfeld aus Mönchen-Gladbach redigierte Problemschachecke enthält. Dort erscheint am 10. 2. 1935 das nebenstehende Problem unter der Nummer 94:
Die Forderung „Matt in 2 Zügen“ wird durch 1. Dh2 erfüllt. Der Kommentar zur Lösung in der Ausgabe vom 24. 2. 1935:
„Diese schöne Kreuzschachvariante und andere mehr zeichnen das Problem aus. Gut!“
Gemeint ist 1. Dh2 Df4+ 2. Dd2++
Weitere Stücke erscheinen nicht. Dafür veröffentlicht Luise Albertz ihre nächste Komposition in der Schachecke des Oberhausener General-Anzeigers. Deren Redakteur Josef Bokisch, auf der Osterfelder Michelstraße 52 wohnhaft, ist als Turnierschachspieler beim Schachklub Osterfeld ab 1929 nachweisbar. Ab dem 22. 7. 1934 betreut er eine Schachspalte im General-Anzeiger, die den örtlichen Problemkomponisten zugleich als eine Art Mitteilungsblatt dient. Diese „Schachgilde“ existiert allerdings nur als ein lockerer Zusammenschluß und kann sich als dauerhaftes Gebilde nicht etablieren. Dafür ist der Kreis der Interessenten einfach zu klein. Den letzten Hinweis im GA auf Josef Bokisch finden wir am 10. 4. 1936.
In der Ausgabe vom 4. 10. 1935 schreibt Bokisch: „Aus dem Kreise unserer Schachfreunde meldet sich heute eine Mitarbeiterin zu Wort. Wir begrüßen sie herzlichst. Das schöne, nicht zu schwere Problem wird bestimmt gefallen.“ Dieses Problem erscheint unter der Nummer 39 als Urdruck. Damit bezeichnet man eine Erstveröffentlichung. Am 10. 10. 1935 wird eine Korrekturstellung angegeben.
Eine Lösung wird nicht veröffentlicht.
Die Forderung „Matt in 2 Zügen“ wird durch 1. Tc5 erfüllt. Die Drohung 2. Sf6++ bestimmt die Abspiele.
Am 10. Oktober 1935 folgt unter der Nr. 41 nebenstehendes Problem, ebenfalls als Urdruck:
Die Forderung lautet „Matt in 2 Zügen“.
Eine Lösung liegt nicht vor, denn unglücklicherweise erschien die letzte Schachecke am 18. 10. 1935 und setzte erst mit 1. 1. 1936 wieder ein. Die Gründe für diese Unterbrechung sind nicht ersichtlich, denn der Schachredakteur war nach wie vor Josef Bokisch.
Ab dem 12. 2. 1939 erscheint im General-Anzeiger wieder eine Schachspalte. Der Bearbeiter Erwin Schmidt, wohnhaft auf der Moltkestraße 217, ist Mitglied des Oberhausener Schachvereins.
Am 19. 2. 1939 erscheint das nebenstehende Problem von Luise Albertz als nachträglich numerierte Nr. 1.
Die Forderung „Matt in 2 Zügen“ wird durch den Schlüsselzug 1. Dxe7 erfüllt. Das Schlagen eines Steines im ersten Zug gilt unter Problemkomponisten als technisch unsauber.
Da der Vermerk „Urdruck“ fehlt, vermuten wir eine Erstveröffentlichung in früheren Jahren.
Dieser Aspekt ist insofern von Wichtigkeit, da er die Frage nach der Dauer der Beschäftigung von Luise Albertz mit Schachproblemen aufwirft. Denn am 14. 5. 1939 erscheint im General-Anzeiger unter der Nummer 5 jenes Problem, welches bereits im „Neuen Tag“ am 10. 2. 1935 veröffentlicht worden ist. Der Kommentar von Erwin Schmitz:
„Ein Kreuzschachproblem in sehr schöner Darstellung. Zweckmäßig und zweckrein zeichnet dieses Problem besonders aus.“
Vermutlich hat Schmitz der Urdruck im „Neuen Tag“ vorgelegen, denn als Turnierschachspieler dürfte er kaum mit der Terminologie des Problemschachs vertraut gewesen sein.
Das am 21. 5. 1939 gebrachte Problem Nr. 6 ist das erstmals am 4. 10. 1935 im General-Anzeiger veröffentlichte Stück. Danach änderte Schmidt die Konzeption der Schachecke und veröffentlichte anstelle von Problemen praktische Endspiele.
Das sind alle zur Zeit nachweislich von Luise Albertz verfaßten Schachprobleme. Drei davon stammen aus dem Jahre 1935, während eines in der Datierung unsicher ist. Es ist davon auszugehen, daß das Komponieren von Schachproblemen eine kurze Episode im Leben der künftigen Oberbürgermeisterin geblieben ist.