Nach verschiedenen antisemitischen Vorfällen in der letzten Zeit verabschiedete der Rat in seiner Sitzung am 13. 5. 2024 eine Erklärung gegen Antisemitismus, der aufschlußreiche Wortbeiträge vorangingen. Von E. Noldus.

Der Text als pdf-Datei: 20240520b_Rat_20240513_02

Grundlagen der Oberhausener Erklärung.

Die Ausgangslage war dadurch charakterisiert, daß es neben der „Oberhausener Grundsatzerklärung gegen Antisemitismus“ als Vorlage der Verwaltung (B/17/5118) noch einen Gegenantrag der LINKEN (als B/17/5118-01) gab.

Hinweis: Wir bringen beide Texte in einer gesonderten Zusammenstellung.

Zunächst erläuterte der Beigeordnete Tsalastras den Standpunkt der Verwaltung. Anlaß seien „die Ereignisse um die Gedenkhalle und der Boykott der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen“ gewesen. Die Stadtspitze habe nach einer Zusammenkunft mit der Antisemitismus-Beauftragten Leutheuser-Schnarrenberger auf deren Empfehlung hin eine Erklärung skizziert, „um sich deutlich zu positionieren und damit ein klares Signal gegen Antisemitismus zu setzen.“ Inhaltlich habe man sich an eine vergleichbare Erklärung der Stadt Dortmund orientiert.

Als „Arbeitsgrundlage“, so der Beigeordnete, diene die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), was sich anbiete, da die BRD ebenso wie 34 weitere Staaten Mitglied der IHRA sei. Zudem diene IRA-Definition auch als „Grundlage für die Antisemitismusarbeit an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen“.

Mit Blick auf den Gegenantrag der LINKEN erklärte der Beigeordnete folgendes:

„Warum wir die Jerusalemer Erklärung nicht genommen haben, ergibt sich aus inhaltlichen Gründen, auf die ich vielleicht in der Diskussion noch näher eingehen will. Insbesondere trifft das aber auf Punkt 14 der Jerusalemer Erklärung zu, die insbesondere die Aktivitäten der BDS-Bewegung, also „Boykott, Desinvestition und Sanktionen“, als legitime Mittel gegen Staaten ansieht und sie von einem Antisemitismusverdacht befreit.

Da wir diese Erklärung ein Stück weit als Reaktion auf das, was bei den Kurzfilmtagen passiert ist, eingebracht haben, können wir schlichtweg nicht solche Aktivitäten legitimieren, indem man eine andere Erklärung, die das tut, zur Grundlage nimmt. Also aus diesem Grunde so die Formulierung, wie sie ist und auch unsere Empfehlung, das so zu verabschieden.“

Danach begründete der Stadtverordnete Karacelik (LINKE) den eingebrachten Änderungsantrag. Eingangs erklärt er, eine klare Positionierung sei angesichts des erstarkenden Rechtsrucks und der daher vielfachen Anfeindungen gegen Juden ein wichtiges Signal der Oberhausener Politik.

Danach betonte er die wissenschaftliche Qualifikation der Verfasser der im März 2021 veröffentlichten Jerusalemer Erklärung und zählte die internationalen Übereinkommen auf, welche die Grundlage dieser Erklärung bildeten.

Die Jerusalemer Erklärung habe den Anspruch, im Vergleich zur IHRA-Definition „eine genauere Kerndefinition und zusammenhängende Leitlinien erarbeitet zu haben.“ Und weiter erklärte der Stadtverordnete:

„Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus sehen großen Bedarf an Klarheit über die Grenzen legitimer politischer Äußerungen und Handlungen im Bezug auf Israel und Palästina. Die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus verfolgt das doppelte Ziel, den Kampf gegen Antisemitismus durch ihre Definition zu stärken und gleichzeitig Räume für eine offene Debatte über die umstrittene Frage der Zukunft Israel-Palästinas zu wahren. Dabei wird Wert darauf gelegt, zu betonen, daß nicht alle Unterzeichnerinnen der gleichen politischen Meinung sind oder einer politischen Parteinahme verfolgen.“

Nach der Erwähnung von fünf allgemeinen und fünf weiteren Leitlinien der „Erklärung“ führte Herr Karacelik aus:

„Sie [die Leitlinien] sind mit dem Zusatz versehen, daß es dabei keine Rolle spielt, ob eine Äußerung oder Einstellung inhaltlich geteilt werden. Dabei geht es etwa um die Unterstützung der palästinensischen Forderung nach Gerechtigkeit und der vollen Gewährung ihrer politischen, nationalen, bürgerlichen und menschlichen Rechte, wie sie im Völkerrecht verankert ist.

Ein weiterer Punkt befaßt sich mit der Regelung, mit der allen Bewohnern zwischen dem Fluß und dem Meer volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder anderen Formen.“

Hinweis: Zur Rede des Stadtverordneten Karacelik (LINKE) siehe Anlage 1. Zum Wortlaut der Jerusalemer Erklärung und ihren Unterzeichnern siehe https://jerusalemdeclaration.org/. Die Bezeichnung lautet im Englischen Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA).

Die Stadtverordnete Opitz (GRÜNE) erklärte, ihre Fraktion begrüße das mit der Verabschiedung einer Erklärung gegen Antisemitismus verbundene Maßnahmenpaket. Ihre Fraktion habe intern „lange diskutiert und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir die berechtigte Auseinandersetzung um die Arbeitsdefinition der IHRA und der JDA nicht im Rat der Stadt Oberhausen führen möchten.“

Man sei, anders als die im HFA formulierte Position der CDU, nicht der Meinung, daß sich ein Alternativantrag geradezu verbiete:

„Diese Position vertreten wir nicht, denn wer sich mit der IHRA-Arbeitsdefinition auseinandersetzt, weiß, daß sie Fallstricke hat, das die freie Meinungsäußerung betreffen kann.

Kritik am Staat Israel muß auch in Deutschland möglich sein, solange diese nicht antisemitisch ist. Daher werden wir heute sowohl der Verwaltungsvorlage als auch dem Alternativantrag der Linken Liste zustimmen. An dieser Stelle möchte ich im Namen der Fraktion der Grünen betonen, daß wir in absolut keiner Weise – in keiner Weise – das Existenzrecht des Staates Israel in Frage stellen. Für uns zählt das Maßnahmenpaket, das in der Zusammenarbeit mit den Kultureinrichtungen und dem ‚Arbeitskreis antisemitismuskritische Bildungsarbeit‘ umgesetzt werden soll.“

Die Feststellung, daß man nicht eine Debatte um die beiden Antisemitismus-Definitionen führen wolle, bedeutete praktisch eine gewissermaßen neutrale Haltung, die sich dergestalt ausdrückte, daß die GRÜNEN beiden Erklärungen zustimmen wollten.

Nach dieser Rede schlug Herr Karacelik (LINKE) vor, kurzerhand beide Erklärungen zu verabschieden. Seine Reden sind stets in einwandfreiem Deutsch verfaßt, während die mündlichen Äußerungen gelegentlich als etwas diffus wahrgenommen werden. Wir geben den Wortlaut dieser kurzen Stellungnahme wieder, um den Leser entscheiden zu lassen, ob unsere Interpretation richtig ist:

„Ich hätte den Antrag oder den Vorschlag, ob man, das sind ja zwei verschiedene Erklärungen, die zu dem Thema, ob man die nicht gegeneinander abstimmen lassen, wie die jetzt die Frau Opitz gesagt hat, ob man das nicht machen kann. Das heißt, wir haben zwei Erklärungen.“

Der Oberbürgermeister befürchtete, so sein Ausdruck, „daß der formale Status am Ende nicht den Ausschlag gibt“ und schlug vor, zuerst über den Antrag der LINKEN abzustimmen.

Frau Stehr (CDU) stellte kurz fest, sie habe „die Vorlage der Verwaltung auch so verstanden, daß wir ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen wollen und hier nicht eine politische Debatte darüber führen wollen, welche Anträge gegebenenfalls die Mehrheit bekommen.“

Weitere Wortmeldungen erfolgten nicht. Zunächst lehnte der Rat den Antrag der LINKEN gegen die Stimmen von LINKEN und GRÜNEN bei Enthaltung von BOB ab.

Danach beschloß der Rat die von der Verwaltung vorgeschlagene Oberhausener Erklärung gegen Antisemitismus gegen die Stimmen der LINKEN.



Anlage 1:

Rede des Stadtverordneten Karacelik (LINKE) zu Punkt 3 der Tagesordnung „Oberhausener Grundsatzerklärung gegen Antisemitismus (B/17/5118) und dem Alternativantrag der LINKEN (B/17/5118-01).

Hinweis: Der Text ist an einigen Stellen vorsichtig sprachlich geglättet, um ihn in Übereinstimmung mit den Regeln der deutschen Grammatik zu bringen.

Die Linke Liste begrüßt erst einmal die Initiative der Stadtspitze, eine Grundsatzerklärung gegen Antisemitismus zu verabschieden. Eine klare Positionierung ist angesichts des erstarkenden Rechtsrucks und der darüber vielfachen Anfeindungen gegen Jüdinnen und Juden ein wichtiges Signal der Oberhausener Politik. Ebenfalls unterstützen wir natürlich den damit verbundenen Finanzantrag, weil damit über die Absichtserklärung hinaus direkt Gelder freigemacht werden, um zeitnah mit konkreten Vorhaben wie Fachkonferenzen, Schulveranstaltungen und Diskussionsangeboten gegen Antisemitismus beginnen zu können.

Als Grundlage schlägt unsere Fraktion, wie schon erwähnt, die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus vor. Daher haben wir den heutigen Alternativantrag gestellt. Die im März 2021 verabschiedete Erklärung wurde von internationalen Wissenschaftlern verabschiedet, die in der Antisemitismusforschung und in verwandten Bereichen arbeiten. Darunter jüdische Studien, Holocaust-, Israel-, Palästina- sowie Nahost-Studien.

So wurde laut Angabe der Unterzeichner im Geiste der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1969, der Erklärung des Stockholmer Internationalen Forums über den Holocaust aus dem Jahr 2000 und dem Beschluß der Vereinten Nationen zum Gedenken an den Holocaust aus dem Jahr 2005 erarbeitet. Die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus entstand als Reaktion auf die IHRA-Definition, die 2016 von der Internationalen Holocaust Remembrance Alliance IHRA angenommen wurde und von der Verwaltung als Grundlage vorgeschlagen wird.

Sie versteht sich als Verbesserung und Alternative zur IHRA-Definition. Die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus hat den Anspruch, eine genauere Kerndefinition und zusammenhängendere Leitlinien erarbeitet zu haben. Die Definition lautet:

Antisemitismus ist Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden oder jüdische Einrichtungen als jüdische [?!].

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus sehen großen Bedarf an Klarheit über die Grenzen legitimer politischer Äußerungen und Handlungen im Bezug auf Israel und Palästina. Die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus verfolgt das doppelte Ziel, den Kampf gegen Antisemitismus durch ihre Definition zu stärken und gleichzeitig Räume für eine offene Debatte über die umstrittene Frage der Zukunft Israel-Palästinas zu wahren. Dabei wird Wert darauf gelegt, zu betonen, daß nicht alle Unterzeichnerinnen der gleichen politischen Meinung sind oder eine politischen Parteinahme verfolgen.

Die Feststellung, daß eine kontroverse Ansicht oder Handlung nicht antisemitisch sei, bedeutet weder, daß sie befürwortet, noch daß sie abgelehnt würde, heißt es in der Erklärung. Diese Herangehensweise halten wir für dieses Gremium und die kommenden Arbeit für das richtige Signal in der Stadtgesellschaft. Neben fünf allgemeinen Leitlinien zum Antisemitismus sind fünf weitere Leitlinien aufgeführt, die im konkreten Bezug auf Israel und Palästina als per se antisemitisch angesehen werden.

Die abschließenden fünf Leitlinien befassen sich mit Äußerungen oder Einstellungen, die im Bezug auf Israel und Palästina als nicht per se antisemitisch betrachtet werden. Sie sind mit dem Zusatz versehen, daß es dabei keine Rolle spielt, ob eine Äußerung oder Einstellung inhaltlich geteilt werden. Dabei geht es etwa um die Unterstützung der palästinensischen Forderung nach Gerechtigkeit und der vollen Gewährung ihrer politischen, nationalen, bürgerlichen und menschlichen Rechte, wie sie im Völkerrecht verankert ist.

Ein weiterer Punkt befaßt sich mit der Regelung, mit der allen Bewohnern zwischen dem Fluß und dem Meer volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder anderen Formen. Diese Feststellung halten wir angesichts einer starken Diskursverengung im Bereich des Nahostkonflikts für sehr wichtig. Mit Sorge betrachten wir vielfache Versammlungs- und Sprachverbote oder aktuell die Entlassung von Sozialarbeiterinnen von Frieda e.V. in Berlin.

Derart repressive Maßnahmen gefährden die politischen Grundrechte und machen einen angriffsfreien [so im Orig.] Diskurs auf Augenhöhe unmöglich. Unser Ziel ist es, daß wir [in] Oberhausen genau diesen Diskurs ermöglichen, um ein friedliches und respektvolles Miteinander in der Stadtgesellschaft zu fördern.

Daher bitten wir um Ihre Zustimmung.

_________________

Hinweise:

Der Text ist an einigen Stellen vorsichtig sprachlich geglättet, um ihn in Übereinstimmung mit den Regeln der deutschen Grammatik zu bringen. Ergänzungen oder Anmerkungen sind in eckige Klammern gesetzt.

In der Rede sprach der Stadtverordnete von „einer binationalem Stadt, einer einheitlichen demokratischen Stadt“, aber es muß wohl „Staat“ heißen. Die Passage findet man in der JDA als Leitlinie 12 und wird in dieser Form auch im JDA-Wikipedia-Artikel zitiert.

Die Darstellung und Einordnung der Jerusalemer Erklärung (JDA) durch Peter Ullrich auf der Internet-Seite der Rosa-Luxemburg-Stiftung war dem Redenschreiber des Stadtverordneten Karacelik wohl zu anspruchsvoll.