Die letzte Sitzung des Integrationsrates für 2023 fand im Sterkrader „Café & Bistro Jahreszeiten“ statt. Sie bot interessante Einblicke für den aufmerksamen Beobachter. Von E. Noldus.
Der Text als pdf-Datei: 20231210b_Integrationsrat_20231205
1 Neue Bestimmungen für den Integrationsrat.
Zu Sitzungsbeginn begrüßte die Vorsitzende Erdas die Anwesenden im Café & Bistro Jahreszeiten und bat Dr. Welbers als Leiter des Seniorenzentrums „Gute Hoffnung leben“ um ein Grußwort. Danach ging man zur Tagesordnung über.
Bekanntlich hatte der Rat in seiner Sitzung am 19. 6. 2023 neuen Stellen für den Integrationsrat und dem Kommunalen Integrationsmanagement zugestimmt. Die schrittweise Überführung des Integrationsrates in die Verwaltungsstruktur, als Perspektive bereits jetzt absehbar, machte die Änderung bestehender Vorschriften notwendig. Die Änderungen der Geschäftsordnung des Integrationsrates der Stadt Oberhausen (B/17/4262-01) unter TOP 1 und der Richtlinien des Integrationsrates der Stadt Oberhausen für den Arbeitskreis Personal und Organisation (B/17/4261-01) wurden einstimmig beschlossen.
Die Art des Aufrufens von TOP 1 durch die Vorsitzende Erdas machte deutlich, daß sie keine Diskussion erwartete, stellte – ohne ausdrückliche Frage – die Zustimmung „bei einer Gegenstimme“ fest. Dann besann sie sich auf die Formalien und fragte nach Enthaltungen und Gegenstimmen.
Eine anekdotische Episode, hatte sie doch die Gegenstimme der AfD gewissermaßen vorweggenommen. Der AfD-Vertreter stimmte zu, da er sich grundsätzlich nicht in innertürkische Angelegenheiten – und um solche handelte es sich hier – einmischt.
In gleicher Weise wurde TOP 2, dieses Mal formal streng korrekt, abgestimmt und einstimmig beschlossen. Das Interessante an diesen Abstimmungen sind zwei Dinge:
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Eigentlich hätte man erwarten können, daß die Ausschußvorsitzende oder der Geschäftsführer (Herr Telli) etwas über die Geschäftsordnung oder die „Richtlinien“ informieren, die Gründe für die Änderungen skizzieren und die Strukturen des Integrationsrates erläutern.
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Ferner hätte man Fragen der türkischen Vertreter (andere gibt es kaum) erwartet, geht es hier doch um grundsätzliche Organisationsfragen des Gremiums, in welches sie gewählt worden sind.
Daß diese Dinge eben nicht zur Sprache gekommen sind, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Integrationsrat und seine Wortführer (es gibt deren zwei nebst einer Panegyrikerin).
2 Ausweitung der „Vielfalt“-Kampagne.
Ein ständiger Punkt der Tagesordnung ist der Sachstandsbericht Herrn Tellis zu „Vielfalt ist meine Heimat“. In dieser Sitzung konnte er berichten, daß die Caritas, deren Geschäftsführer Herr Kreuzfelder anwesend war, mehrere Gespräche mit dem Integrationsrat geführt habe. Die Caritas werde die „Vielfalt“-Kampagne übernehmen. Die Caritas verpflichtet sich dazu, einmal im Jahr eine Veranstaltung zu den Themen „Vielfalt“ und „Heimat“ durchzuführen. Denn wer die Plakette erwerben wolle, so Herr Telli, müsse sich vorab erklären, wie er inhaltlich mit dem Thema umgehe. Im ersten Quartal 2024 plane die Caritas eine größere Veranstaltung.
Das Bistum Essen, welches 26 Einrichtungen in Oberhausen unterhalte, habe sich zum Mitmachen bei der Vielfalt-Kampagne bereit erklärt. Die Kampagne werde immer erfolgreicher und künftig plane man am 15. Mai eines jeden Jahres eine stadtweite Veranstaltungen.
3 Perspektiven und Aufgaben des Jobcenters.
Unter TOP 4 sprach Herr Telli die Einleitung zum Thema „Jobcenter Oberhausen im Spannungsverhältnis zur ethnischen Ökonomie“. Wir sind gespannt, ob der Begriff „migrantische Ökonomie“ künftig abgelöst wird.
Herr Telli leitete den Punkt mit der Bemerkung ein, daß man das Thema „migrantische Ökonomie“ mit dem Vortrag von Herrn Ulusoy, den dieser seinerzeit vor zwei Jahren (Dezember 2021) gehalten habe, begonnen habe. Wir verweisen hier auf eine kurze Zusammenfassung vom 6. 12. 2022 durch Herrn Telli im Rahmen der seinerzeitigen Sitzung des Integrationsrates. Danach folgte ein längerer Vortrag von Herrn Uwe Weinand, dem Geschäftsführer des Jobcenters. Wir versuchen eine Wiedergabe der Grundzüge in ihrem Sinne nach:
Herr Weinand beginnt mit einigen Zahlen. In Oberhausen gebe es 14.000 Bedarfsgemeinschaften mit etwa 29.000 Personen. Von diesen seien etwa 20.000 arbeitsfähig. Er verweist auf die ausgelegten Flugblätter, die einige weitere Zahlen nennen.
Strukturmerkmal Migrationshintergrund: Laut Statistik gebe es etwa 12.900 Nichtdeutsche aus 36 Nationen.
Strukturmerkmal Ukraine: Es gehe um ca. 2.500 Personen, von denen ca. 50% dauerhaft hier zu bleiben beabsichtigen. Das könne sich aber ändern. Eine Frau mit ein oder zwei Kindern plant zunächst einen temporären Aufenthalt und möchte zurück, weil der Ehemann in der Armee ist. Wenn dieser falle, dann ändert sich vielleicht die Perspektive und man müsse daran gehen, der Betreffenden eine langfristige Perspektive zu geben.
Insgesamt habe das Jobcenter 350 Mitarbeiter mit einem Verwaltungsbudget von ca. 26 Mio. von insgesamt ca. 238 Mio. €. Einzelheiten sind dem Flugblatt zu entnehmen.
Eine wichtige Aufgabe des Jobcenters sei es, zuverlässig finanzielle Leistungen zu erbringen. Menschen, die im Bezug seien, seien darauf angewiesen. Eine wichtige Aufgabe sei der Erhalt des sozialen Friedens.
Zur Zeit gebe es in Oberhausen eine hohe Zahl von ca. 70.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Firmen bemühten sich, ihre Leute zu halten. Was Neueinstellungen angeht, gebe es eine starke Zurückhaltung.
Danach stellt sich der Zuständige für das Controlling beim Jobcenter vor. Zu seinem Arbeitsbereich gehört auch Digitalisierung. Er arbeitet an einer mehrsprachigen Informationsseite des Jobcenters. Die Inhalte werden automatisch übersetzt.
Danach spricht Herr Telli zum Thema „ethnische Ökonomie“. Er erläutert kurz die grundsätzlichen Ziele und Ideen. Es gehe darum, mehr Betriebe mit Einwanderungsgeschichte zu Ausbildungsbetrieben zu machen. Dann hätten diese Betriebe eine bessere Ansprache für Jugendliche mit Migrationshintergrund.
Es gebe mehrere Beteiligte; u.a. Zentrum für Türkeistudien, Integrationsrat, Stadt Oberhausen, OWT, Jobcenter. Das zweite Treffen der Unternehmer mit Migrationshintergrund bei der OWT sei ein großer Erfolg gewesen. Es habe viele Gespräche gegeben. Herr Gäng von der Sparkasse sei auch dagewesen, man habe sich über Mikrokredite und Fördermöglichkeiten informieren können.
Frau Gülay Demirci aus Duisburg vermittelt Mikrokredite (dut mikrofinanz), Herr Mehriz Mersali ist Geschäftsführer von Esti Solutions aus Düsseldorf. Beide unterstützen die Arbeit im Bereich ethnische Ökonomie ehrenamtlich.
Das Jobcenter sei in dem Bereich ebenfalls ein wichtiger Ansprechpartner. Dazu das nachfolgende Schaubild:
Jobcenter |
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Träger – Qualifizierung – Beratung – Sprache |
Beschäftigungs- |
Arbeitgeber |
Netzwerk OWT |
Fach- |
Integrations- |
Herr Telli gibt zu den einzelnen Unterabschnitten jeweils einige Erläuterungen ab. Die Fachdienste beispielsweise müßten ebenfalls hinzugezogen werden, da es Menschen mit „multiplen Hemmnissen“ gebe (Suchtprobleme, Schuldnerberatung).
Beim Integrationpoint habe man mit Ukrainern zu tun, die aufgrund gesetzlicher Sonderregelungen sofort in SGB II gingen.
Um das Thema allgemein bekannter zu machen, habe man sich, so Herr Telli, überlegt, wie man nach der Analyse etwas mit den Erkenntnissen anfangen könne. Ab 2024 plane man sechs Veranstaltungen. Diese würden jeweils unter einem Oberthema stehen:
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Sprache als Schlüssel für den Arbeitsmarkt.
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Geflüchtete – eine Chance für den Arbeitsmarkt.
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Langzeitarbeitslosigkeit.
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Jugendarbeitslosigkeit.
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Frauen und Arbeitsmarkt – Jobcenter als Chance.
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Jobcenter – Akteur für den sozialen Frieden?
Die sechs Veranstaltungen sollen im großen und ganzen ein einheitliches Format haben: Jede Veranstaltung dauert drei Stunden mit einer Diskussion über 90 Minuten. Danach geht es in die Lichtburg, wo man einen Film zum Thema schaut.
Beteiligt sind der Integrationsrat, die AG Wohlfahrtsverbände und „Demokratie leben“. Jede Institution stellt einen Moderator, man arbeite abwechselnd als Tandem. Für eine eventuelle Individualberatung ist das Jobcenter vor Ort. Die Kosten für die gesamten Veranstaltungen betragen 6.000 bis 7.000 € und sind bereits durch Spender zum größten Teil finanziert.
Frau Demirci lobt den Vortrag und das Jobcenter. Sie fragt, ob der Ansatz personenbezogen sei oder strukturell abgesichert.
Herr Weinand erläutert, daß sich seit 2005 der Arbeitsmarkt geändert habe. Die Anforderungen seien gestiegen. Auf der anderen Seite werden die Probleme der Kunden immer größer. Um dem zu entgehen, sei man auf vielen Wegen unterwegs, mit dem Jobcenter, der OWT, KI usw. Es sei eine noch bessere Vernetzung notwendig. Es sei eine Zunahme von Angststörungen zu beobachten. Kunden könnten ihre Termine nicht wahrnehmen, weil sie Angst hätten, ihre Wohnung zu verlassen (als Beispiel). Bei der Arbeit im Jobcenter gebe es keine Standards, die allgemein angewendet würden. Es gelte das Individualprinzip, es gehe immer um eine Einzelfallösung.
Ein Sitzungsteilnehmer kritisiert, daß es beim Spracherwerb zu wenig Angebote gebe oder daß es keine für die Arbeit nützlichen Sprachangebote gebe. Was das Jobcenter unternehmen könne.
Der Spracherwerb sei eine Angelegenheit des Bamf und diesem organisatorisch vollständig zugeordnet. Das Jobcenter habe damit nichts zu tun. Das sei eine Bundesangelegenheit.
Aus den Erfahrungen von 2015/16 wisse man, daß nach dem Besuch des Integrationskurses die erworbenen Sprachkenntnisse verloren gingen, wenn nicht nach einem oder zwei Jahren die Arbeitsaufnahme gelinge. Es sei eben angenehm, sich in die Community mit der eigenen Muttersprache zurückzuziehen. Das sei verständlich, mache aber die Vermittlung schwierig. Sprachkurse mit integrierter Kinderbetreuung werden nicht genug angeboten; das sei ein Problem, über das er ständig Gespräche führe. Das Problem betreffe gerade Ukrainerinnen mit Kindern besonders.
Die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen sei schwierig, da es hierzu viele Verwaltungsvorschriften gebe. Die Anerkennungsberatung sei auf die Regierungspräsidien verteilt und „ist außerhalb meines Spielfeldes“.
Herr Demirci fragt, daß es auf der einen Seite Jugendliche gebe, die von Maßnahme zu Maßnahme gingen und auf der anderen Seite gebe es Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden können. Wie das zusammenpasse?
Es gebe, so Herr Weinand, immer mehr Jugendliche mit psychischen Problemen. Trotz Schulpflicht und anschließendem Kolleg gebe es Jugendliche, die heraus fielen. Wenn sie dann 20 Jahre alt sind und keinen Schulabschluß haben, wird es langsam eng. Auf der anderen Seite gebe es viele Langzeitarbeitslose, die einfach nicht die für den Arbeitsmarkt passenden Fertigkeiten mitbrächten. Er sei oft mit Herrn Babic unterwegs. Es gehe um Helferstellen, wo Sprachkenntnisse gefordert seien. Dann versuche man, auf die Betriebe einzuwirken, daß sie dort nicht allzu hohe Anforderungen stellten.
Die letzte Frage bezieht sich auf die Vergleichbarkeit der Städte und wo Oberhausen stehe. Herr Weinand antwortet in Allgemeinplätzen, daß man jede Stadt für sich betrachten müsse. Beispielsweise sei Gelsenkirchen eine Oberhausen ähnliche Stadt. Trotzdem gebe es dort relativ viele Helferstellen, während in Oberhausen eher die Facharbeiter fehlten. Eine Möglichkeit sei Picnic, die aber eher auf studentische Hilfskräfte setzen.
Abschließend gibt Dezernent Schmidt eine allgemein gehaltene Stellungnahme ab über die enorme Bandbreite migrantischer Ökonomie usw.
4 Lobbyarbeit der Wohlfahrtsverbände.
Unter TOP 5 wurde ein „Offener Brief der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände Oberhausen“ behandelt. Die Wohlfahrtsverbände kritisierten darin die Stadt, welche nicht bereit sei, zur Gewährleistung des bestehenden Angebotes die Finanzierung sicherzustellen. Für den 11. 12. 2023 wurde eine Demonstration vor dem Rathaus angekündigt. Der Integrationsrat hatte als Vertreter der AG Wohlfahrtsverbände Herrn Frank Domeyer, Geschäftsführer der Diakonie, eingeladen. Der Vortrag, den Domeyer hielt, nahm einen überraschenden Verlauf.
Die AG Wohlfahrtsverbände seien insgesamt einer der größten Arbeitgeber in Oberhausen. Seit Oktober 2022 hätten die Verbände das Ziel verfolgt, die vielfältigen Verträge zu bündeln und dynamische Tarifsteigerungen durchzusetzen. Man sei am Widerstand der Stadt gescheitert, die unter Verweis auf die Haushaltslage alles abgelehnt habe. Man habe an eine öffentliche Protestveranstaltung Mitte Dezember gedacht, die aber nicht durchgeführt werde. Denn inzwischen hätten die Gespräche mit dem Bürgermeister, den Dezernenten Tsalastras, Motschull usw. „herausragende Ergebnisse gebracht und 90 Prozent unserer Forderungen sind erfüllt worden.“ Man habe für bedürftige Menschen, die am unteren Ende stehen, viel erreicht. Der Oberbürgermeister sei in die Bresche gesprungen und habe „erhebliche Gelder locker gemacht“. Deshalb ist die geplante Demonstration abgesagt worden.
Dezernent Schmidt ergänzt: Man habe auf Landesebene geworben, daß sich das Land bewegen möge und die Kostensteigerungen übernehme. Die hohen Tarife, die Regenerationstage machten es den Trägern schwer, ihre Arbeit zu finanzieren. Man lief Gefahr, die Betreuungszeiten zu vermindern. Man habe seitens der Stadt abgewartet, ob das Land doch etwas merken würde. Man habe gestern im Haupt- und Finanzausschuß über die Finanzierung des OGS gesprochen, im Rat werde am Montag die KTE-Finanzierung in Höhe von 2,6 Mio. € nachgereicht. Für die Zeit nach dem 1. 8. 2024 müsse man neu verhandeln. Man habe in Oberhausen eine Betreuungsquote von 80 Prozent und sei damit führend. Es sei in den Verhandlungen zwischen der Stadt und der AG Wohlfahrt ein konstruktiver Weg der Zusammenarbeit beschritten worden.
5 Anlaufen der Integreat APP.
Unter TOP 6 „Vorstellung der Plattform Integreat APP“ erläuterte ein Vertreter des Kommunalen Integrationsmanagements (KIM) seine Arbeit an der Plattform und deren hauptsächliche Inhalte. Ein Schaubild illustrierte den Zeitplan vom Beschluß zur Einführung von Integreat APP bis zur Gegenwart.
Der letzte Punkt „Mitteilungen und Anfragen“ unter TOP 7 wurde gar nicht erst aufgerufen. Hierzu lag, wie üblich, nichts vor.
Gegen 19 Uhr schloß die Vorsitzende Erdas die Sitzung.