Nachfolgend die Inhalte einer Kleinen Anfrage der AfD-Ratsfraktion, welche sich mit den dem Rat vorgelegten Kostenschätzungen zur geplanten Linie 105 (Lückenschluß zum Centro) befaßt.
Der Text als pdf-Datei: 20241029b_Kalkulation_Linie_105
Vorbemerkung.
Am 5. 2. 2024 hat der Rat der Stadt Oberhausen mit der Vorlage B/17/4407-01 die „Grundsatzentscheidung zur Durchführung der Planung und der notwendigen Verfahren für die Verlängerung der Straßenbahnlinie 105 von Essen nach Oberhausen“ beschlossen – gegen die Stimmen der AfD und bei Enthaltung des Stadtverordneten Lütte (BOB). Der ablehnende Änderungsantrag der AfD-Fraktion war nur von dieser und dem Stadtv. Lütte befürwortet worden.
Der offiziellen Niederschrift entnehmen wir die Stellungnahme des Stadtkämmerers: Die Planungsunterlagen für eine „belastbare Kostenrechnung“ liegen noch nicht vor, so daß auch die Erträge nicht zu ermitteln sind. Die Baukosten der Linie 105 werden nicht in die langfristige HSK-Planung aufgenommen.
Hinweis: Das Haushaltssicherungskonzept (HSK) soll der Bezirksregierung aufzeigen, wie die Kommune in einem festgelegten Zeitraum die Neuverschuldung auf Null reduziert.
Gegenwärtig, so der Kämmerer, befinde man sich in der Planungsphase, nach deren Beendigung der Förderantrag gestellt wird. Danach entscheidet der Rat über den Fortgang des Projektes und dessen Aufnahme in die Haushaltsplanung.
Wir halten also fest, daß die selbsternannten „Demokraten“ im Rat von LINKEN, SPD, GRÜNEN, BOB, FDP und CDU ein Millionenprojekt angestoßen haben, ohne daß eine Grobplanung, wie sie zur Einreichung eines Förderantrages notwendig ist und ohne daß eine „belastbare Kostenrechnung“ vorliegt.
In einem eigenen Artikel haben wir uns am 9. Oktober speziell mit der Problematik komplexer Förderanträge befaßt. Wir empfehlen ihn zur Lektüre, um die Tragweite dieses Entschlusses als faktischen Einstieg in das Projekt zu ermessen.
Zum Sachverhalt.
Gegenstand der auf den 8. 4. 2024 datierten AfD-Anfrage K/17/5058-01 war die oben genannte Verwaltungsvorlage B/17/4407. Darauf beziehen sich auch die Stellenangaben im Text.
Frage 1:
Unter Punkt 4.4 Betriebskosten werden die entstehenden Betriebsaufwendungen durch die Verlängerung der Straßenbahnlinie 105 auf Oberhausener Stadtgebiet auf Basis der heutigen Kosten einer Straßenbahn in Höhe von 10 EUR/Nutzwagenkilometer angesetzt. Die Unterhaltungskosten für die Infrastruktur sind entsprechend der heutigen Kennwerte bei 100.000 EUR pro Gleiskilometer und Jahr anzusetzen.
Warum hat die Stadt Oberhausen in ihren Berechnungen für die Betriebs-Unterhaltskosten nicht die zu erwartende, durchschnittliche Inflation, auf Basis der vorliegenden Basisdaten der EZB, mit eingerechnet ?
Antwort 1:
Der angegebene Kostensatz für den Betrieb (10 €/Nutzwagenkilometer) beinhaltet bereits eine Hochrechnung auf das Jahr 2030. Nachdem in 2023 (Kalkulationsbasis) bereits ein erheblicher Inflationsschub stattgefunden hat, haben die Stadtverwaltung Oberhausen gemeinsam mit der STOAG für die Folgejahre bis 2030 eine weitere Gesamtsteigerung von 25% berücksichtigt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die weitere Kostenentwicklung extrem unsicher und deshalb eine verläßliche Indexierung der Betriebskosten kaum möglich ist.
Frage 2:
In der Tabelle 4 der Vorlage werden die jährlichen Gesamtkosten ab Fertigstellung mit 6,2 Mio. Euro beziffert.
Die Betriebskosten für Fahrzeuge, Personal und Energie werden in dieser Tabelle mit 4,2 Mio. Euro veranschlagt.
Wie genau setzen sich die einzelnen Kosten zusammen und auf der Grundlage welcher Basisdaten wurden diese berechnet?
Antwort 2:
Die Unterhaltungskosten für die Infrastruktur wurden im ersten Schritt für den Preisstand 2023 ermittelt. Anschließend wurden diese Kosten analog zu den Betriebskosten (siehe Beantwortung Frage 1) auf das Jahr 2030 mit einem Faktor von 25 % hochgerechnet und ergeben auf diese Weise etwa 100 T€/Gleis-km. Dabei wurde auch berücksichtigt, daß es sich um eine durchgängig neue Infrastruktur handelt, die in den ersten Jahren ab 2030 natürlich deutlich geringere Instandhaltungskosten nach sich ziehen wird, als im Mittel über die gesamte Nutzungsdauer.
Frage 3:
In der Kurzfassung der Vorlage wird festgestellt: „Auch die standardisierte Bewertung der Verlängerung der Straßenbahnlinie wird unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus dem Jahr 2004 und der Planungen des Masterplans Neue Mitte ein positives Kosten-Nutzen Verhältnis nachweisen.“
Wie begründet sich, daß Ergebnisse, welche 20 Jahre alt sind, in Verbindung mit heutigen Planungen, ein positives Kosten-Nutzen Verhältnis nachweisen ?
Antwort 3:
Die Standardisierte Bewertung, die gemeint ist, ist nicht wie in der Frage unterstellt 20 Jahre alt, sondern wurde in 2014 für die damals aktualisierte Planung aufgestellt. Mit einem Nutzen-Kosten-Indikator von 2,04 war der Nutzen bereits damals doppelt so hoch wie die Kosten. Die aktuellen Planungen mit den künftigen Einwohnern in den neuen Quartieren werden weiteren Nutzen generieren, so daß der Schluß der Förderwürdigkeit nach GVFG durchaus begründet ist.
Hinweis: Zum GVFG siehe unten.
Frage 4:
Um wie viel Prozent wird sich, nach Fertigstellung der Linie 105, der aus Essen in Richtung Centro fahrende motorisierten Individualverkehr (MIV) verringern und auf welcher Datenbasis wurde diese berechnet? Wo sind die Daten zur Verringerung des MIV einzusehen?
Antwort 4:
Die verkehrsplanerischen Fragen werden parallel zur technischen Planung der 105 bearbeitet. Derzeit können keine detaillierten Antworten im Sinne der Fragestellung gegeben werden.
Zum GVFG.
Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) regelt seit seiner Einführung 1971 die Grundlagen, auf denen der Bund den einzelnen Ländern Beihilfen für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur gewährt. Seit 2020 ist die Förderung auf Projekte zum Bau und Ausbau von Verkehrswegen kommunaler ÖPNV-Vorhaben (Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen sowie Bahnen besonderer Bauart), nicht bundeseigener Eisenbahnen und Infrastrukturprojekte für den Schienenpersonennahverkehr der Deutschen Bahn beschränkt.
In § 2 ist der Kreis der förderfähigen Vorhaben beschrieben ohne auf Aspekte der Wirtschaftlichkeit Bezug zu nehmen.
In § 3 Absatz 1c heißt es:
„Voraussetzung für die Förderung nach § 2 ist, daß das Vorhaben bau- und verkehrstechnisch einwandfrei und unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geplant ist; es kann in besonderem Bundesinteresse liegen, bestimmte Kriterien im Bewertungsverfahren vorhabenspezifisch stärker zu gewichten, zum Beispiel Klima- und Umweltschutz, Verkehrsverlagerung oder Aspekte der Daseinsvorsorge.“
Die im Nachsatz genannten Vorhaben nach § 2 Absatz 3. für die ein gesamtwirtschaftlicher Nachweis entbehrlich ist, betreffen die Grunderneuerung bereits vorhandener Verkehrswege.
Man beachte, daß im Gesetzestext Fluchtklauseln es erlauben, den „Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ aufzuweichen. Wir verstehen das so, daß das Land NRW als Fördermittelgeber einen gewissen Spielraum zur Förderung auch wirtschaftlich schwacher Projekte besitzt.
Das würde bedeuten, daß die Stadtverwaltung als Antragsteller nicht unbedingt die Wirtschaftlichkeit der Linie 105 nachweisen muß, soweit ein solcher Nachweis durch Prognosen überhaupt zu führen ist.
Der Rat als Entscheider dürfte die Bewilligung des Förderantrages also nicht ohne weiteres mit dem Nachweis der Wirtschaftlichkeit der Linie 105 gleichsetzen. Es wäre somit dessen Aufgabe, diesen Aspekt gesondert von den zweifellos günstigen Förderbedingungen (wir denken da an die Förderquote, die als Köder nur allzu gerne von der Ratsmehrheit geschluckt wird) genauestens zu prüfen. Denn damit stehen und fallen die langfristigen Belastungen der Betriebskosten der STOAG.