Aus aktuellem Anlaß beschäftigen wir uns mit den Neuerungen der Gemeindeordnung NRW zum genannten Thema. Von E. Noldus.
Der Text als pdf-Datei: 20251123b_Ausschussvorsitz_Abwahl
Zur Vorgeschichte.
Am 13. 11. 2019 wurde der AfD-Abgeordnete Brandner vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages als Vorsitzender abgewählt. Es handelte sich bis dahin um einen bis dato einmaligen Vorgang in der Geschichte des Bundestages.
In bemerkenswerter Einfachheit besagte dessen Geschäftsordnung in § 58 über die Bestimmung des Vorsitzenden und seines Stellvertreters:
„Die Ausschüsse bestimmen ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat.“
Die Vorsitze wurden entweder im Rahmen einer allgemeinen Übereinkunft bestimmt oder nach einem Zugriffsverfahren vergeben.
Da Brandners Abwahl einen Präzedenzfall darstellte, reichte die AfD-Bundestagsfraktion eine sog. Organklage beim Bundesverfassungsgericht ein, die mit dem Urteil vom 18. 9. 2024 in zweierlei Hinsicht abgewiesen wurde. Demnach war weder die Abwahl Brandners zu beanstanden noch die Nichtwahl von AfD-Abgeordneten zu Ausschußvorsitzenden in den Ausschüssen, in denen die AfD-Fraktion das ihr zustehende Vorschlagsrecht ausgeübt hatte.
Der Wissenschaftsdienst des Landtages von Rheinland-Pfalz hat eine Erläuterung des BVG-Urteils vom 18. 9. 2024 herausgegeben (Nr. 18/17 vom 18. 9. 2024), in der es auf S. 5 re. heißt, der Ausschußvorsitz sei eine Funktion rein organisatorischer Art, so daß der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit nicht gelte. Wir kommen später darauf zurück.
Mit Wirkung zum 1. 11. 2025 enthält § 58 der geänderten Geschäftsordnung des Bundestages eine komplizierte Regelung zu Wahlverfahren; siehe Bundesgesetzblatt BGBl. 2025 I Nr. 250 vom 27. 10. 2025. Man kann diese Änderungen als nachträgliche juristische Anpassung an die 2019 geschaffenen Fakten betrachten.
Die inzwischen gerichtsnotorische Correctiv-Erzählung vom „Potsdamer Geheimtreffen“ nutzte der Landtag von Sachsen-Anhalt im Februar 2024, um den AfD-Landtagsabgeordneten Siegmund als Vorsitzenden des Sozialausschusses (eigentlich: Ausschuß für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung) abzuwählen; siehe Junge Freiheit vom 21. 2. 2024. Im Antrag des Sozialausschusses an den Landtag wurde als Rechtsgrundlage der Abberufung auf § 13 Abs. 3 in Verbindung mit § 4 Abs. 6 der Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt verwiesen.
Der Hinweis in § 13 Abs. 3, wonach der Abberufene von der berechtigten Fraktion nicht wieder als Vorsitzender benannt werden, bedeutet, daß die betroffene Fraktion das Recht der Benennung (siehe Abs. 1 ebenda.) behielt. Tatsächlich hat weiterhin ein AfD-Vertreter, der Landtagsabgeordnete Gordon Köhler, den Vorsitz inne.
Auch in der Geschäftsordnung des Landtages von NRW finden sich vergleichbare Regelungen. Mindestens seit der 2013 angenommenen Fassung (Landtagsdrucksache 16/4200) regelt § 50 Abs. 3 das Verfahren der Abwahl eines Ausschußvorsitzenden:
„Die bzw. der Vorsitzende eines Ausschusses oder deren bzw. dessen Stellvertreterin oder Stellvertreter kann durch die zur Benennung berechtigte Fraktion oder mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Ausschusses abberufen werden. Ein Antrag auf Abberufung kann nur von mindestens einem Drittel des Ausschusses eingebracht werden. Bei Einvernehmen zwischen den Fraktionen kann die Abwahl frühestens 72 Stunden nach Abgabe des Antrags erfolgen, sonst nach acht Tagen. Sie erfolgt [ab 18. 12. 2019 „ohne Aussprache“ gestrichen] in nicht öffentlicher Sitzung in geheimer Abstimmung. Findet der Antrag eine Zweidrittelmehrheit, so ist die bzw. der Ausschußvorsitzende abberufen. Die berechtigte Fraktion hat im Falle einer Abberufung unverzüglich eine andere Vorsitzende bzw. einen anderen Vorsitzenden oder Stellvertreterin bzw. Stellvertreter gegenüber der Präsidentin bzw. dem Präsidenten schriftlich zu benennen.“
In der Gemeindeordnung gab es bislang keine Regelungen für die Abwahl von Ausschußvorsitzenden, weil der Gesetzgeber offenbar keinen Regelungsbedarf sah.
Der Zugriff auf Vorsitze als Verfahren.
Das Zugriffsverfahren unter Zugrundelegung der jeweiligen prozentualen Stärkeverhältnisse der Fraktionen nach dem Verfahren d‘Hondt bot in der Vergangenheit im Verein mit der Möglichkeit einvernehmlicher Listenabsprachen eine allgemein akzeptierte Verfahrensgrundlage. Diese Regelung der Geschäftsordnung des Landtages in § 50 Abs. 1 findet sich in der Gemeindeordnung (GO) § 58 Abs. 5 wieder.
Das Fehlen von Regelungen in der GO NRW zur Abwahl eines Ausschußvorsitzenden war das äußere Zeichen einer allgemein akzeptierten Verfahrensgrundlage. Weder in dem „Handbuch für Rats- und Ausschußmitglieder“ von Ernst-Dieter Bösche noch im GO-Kommentar von Articus und Schneider findet man Hinweise zu etwaigen in Analogie anwendbaren Regelungen zur Abwahl.
Das Zugriffsrecht auf einen Ausschußvorsitz berechnet sich nach dem Verfahren d‘Hondt. Im Gegensatz zu Ausschußbesetzungen sind beim Zugriff auf Vorsitze ausdrücklich Verbindungen von Fraktionen erlaubt. Was das in der Praxis bedeutet, zeigen wir gleich auf.
Dabei legen wir die aktuelle Zusammensetzung des Stadtrates zugrunde; also die GRÜNEN mit 6 Mitgliedern aufgrund eines Zusammenschlusses. Würde jede Fraktion für sich alleine in das Verfahren eintreten, dann ergäbe sich folgendes:
| Teiler | CDU 16 | SPD 16 | AfD 13 | GRÜNE 6 | LINKE 3 |
|
1 |
16,00 |
16,00 |
13,00 |
6,00 |
3,00 |
|
2 |
8,00 |
8,00 |
6,25 |
3,00 |
1,50 |
|
3 |
5,33 |
5,33 |
4,33 |
2,00 |
1,00 |
In der Reihenfolge würden CDU und SPD auslosen, wer den ersten und zweiten Zugriff erhält, die AfD käme an dritter Stelle, danach CDU und SPD (Losentscheid), die AfD an sechster, die GRÜNEN an siebter Stelle, danach CDU und SPD (Losentscheid) und zuletzt die AfD.
Die AfD hätte also drei Zugriffe an 3, 6 und 10, die GRÜNEN an 7. Die LINKEN (drei Mitglieder) hätten mit ihrem Höchstwert 3,00 rechnerisch erst an 16. Stelle Zugriff.
Ein Zusammenschluß von CDU und SPD hätte zu folgender Verschiebung geführt:
| Teiler | CDU/SPD 32 | AfD 13 | Grüne 6 |
|
1 |
32,00 |
13,00 |
6,00 |
|
2 |
16,00 |
6,50 |
3,00 |
|
3 |
10,67 |
4,33 |
2,00 |
|
4 |
8,00 |
3,25 |
1,50 |
|
5 |
6,40 |
2,60 |
1,20 |
|
6 |
5,33 |
2,17 |
1,00 |
|
7 |
4,57 |
1,86 |
0,86 |
Die AfD hätte ein Zugriffsrecht verloren und nur an 3 und 6 zugreifen können, die GRÜNEN nur an 8.
Tatsächlich haben sich in der konstituierenden Sitzung alle anderen Fraktionen – CDU, SPD, GRÜNE, LINKE – zusammengeschlossen, um die Zugriffsrechte der AfD maximal zu beschneiden; sie konnte nur noch an 4 und 8 zugreifen.
Eine hypothetische Fragestellung.
Von hier aus gelangen wir zu einer hypothetischen Fragestellung: Welche Zugriffsrechte hätte die AfD (13 Stadtverordnete) besessen, wenn sich alle übrigen 45 Stadtverordneten hätten zusammenschließen dürfen? Es wären ebenfalls die Zugriffe an 4 und 8 erfolgt.
Daran schließt sich die Frage an: Wieviel Stadtverordnete von 58 muß die AfD haben, um an 10 (der letzte Zugriff bei in Oberhausen zur Auswahl stehenden Ausschüssen) zugreifen zu können, wenn sich alle (!) anderen Ratsmitglieder zu einer Einheitsliste gegen die AfD zusammenschließen?
Das Ergebnis: Bei 52 gegen 6 AfD-Stadtverordnete erhielte die AfD das Zugriffsrecht an 9, bei 53 gegen 5 AfD-Stadtverordnete kein Zugriffsrecht.
Das wären umgerechnet 8,6% der Wählerstimmen, die der AfD ein einziges Zugriffsrecht ermöglichen.
Unsere hypothetische Fragestellung ergibt dadurch einen Sinn, daß die grundsätzliche Bekämpfung der AfD auch „Brandmauer“ genannt, auf allen Ebenen des politischen Wirkens erfolgt; also auch in vermeintlich neutralen Bereichen verfahrenstechnischer Abläufe.
Bei den Kommunalwahlen 2020 haben nur Gelsenkirchen, Hagen, Duisburg und Herne (mit 8,4%) diese von uns als Minimum ermittelte Marke erreicht. Diese Marke kann infolge verschiedener Faktoren variieren (z. B. beeinflußt die Anzahl der Einzelvertreter in einem Rat die mathematischen Größen zugunsten der AfD), aber es geht hier um eine grundsätzliche Betrachtung.
Es hat unseres Wissens nach den Kommunalwahlen 2020 einen AfD-Ausschußvorsitzenden nur in Gelsenkirchen (Kultur, Tourismus und urbane Szene) und Duisburg (Personal und Verwaltung) gegeben.
Bei der Europawahl im Juni 2024 erzielte die AfD NRW-weit 12,6% und übertraf dieses Ergebnis bei der Bundestagswahl im Februar 2025 mit 16,4% deutlich.
Angesichts dieses Wahlergebnisses gab es in der Landesregierung offenbar einen Bedarf an Änderungen in der Gemeindeordnung, die zu einer bemerkenswerten Änderung in § 58 Abs. 5 führten. Wir haben den alten und neuen Wortlaut im Anhang zusammengestellt.
Die Abwahl eines Ausschußvorsitzenden.
Die Perspektive, daß die AfD nach den Kommunalwahlen 2025 in zahlreichen Kommunen einen juristisch unanfechtbaren Anspruch auf Ausschußvorsitze haben würde, hat zu einer bemerkenswerten Änderung in der Gemeindeordnung geführt. Ein zusätzliches Moment war das im Gefolge der Vorgänge um Brandners Absetzung sichtbar werdende rechtliche Vakuum, welches dann durch das Bundesverfassungsgericht gewissermaßen juristisch gefüllt wurde. Dem Bedürfnis, die bestehende Regelungslücke in der Gemeindeordnung zu schließen, war – aus rein juristischer Sicht – gewissermaßen handwerklich beizukommen. Aber hinter der juristischen Fassade verbergen sich handfeste politische Interessen.
Die Abwahl eines Ausschußvorsitzenden kann nach der neuen, ab dem 1. 11. 2025 gültigen Fassung von § 58 GO NRW in zweierlei Form erfolgen.
Nach der Benennung eines Vorsitzenden im Zugriffsverfahren kann eine Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder (hier: 20 von 58) innerhalb von zwei Wochen schriftlich der Benennung widersprechen. Es ist also die gesetzliche Zahl der Ratsmitglieder, nicht die Zahl der anwesenden Ratsmitglieder entscheidend.
Das Problem ist nur, daß die betroffene Fraktion das Recht behält, ein anderes Ausschußmitglied aus ihren Reihen als Vorsitzenden zu benennen (Selbstbestimmungsrecht der Fraktion nach § 58 Abs. 5 Satz 7).
Einmal kann ein Ausschußvorsitzender nach § 58 Abs. 5 Satz 8 abgewählt werden. Das setzt also voraus, daß der Betreffende sein Amt als Vorsitzender bereits angetreten hat, während wegen der zweiwöchigen Widerspruchsfrist von zwei Dritteln des Rates vermutlich davon auszugehen ist, daß ein Ausschußvorsitzender formal erst nach Ablauf dieser Frist sein Amt überhaupt antreten kann.
Die Abwahl nach § 58 Abs. 5 Satz 8 bestimmt, daß für die Abberufung eines Ausschußvorsitzenden durch den Rat § 67 Absatz 4 Satz 1 bis 5 entsprechend gilt. Demnach muß der Abwahlantrag von der Mehrheit der gesetzlichen Vertreter gestellt werden.
Ein Gutachten von Höcker bezieht den Ausdruck „Mehrheit der gesetzlichen Vertreter“ auf den Rat. Man könnte aber durch die allgemeine Bestimmung, daß die Verfahren im Rat analog auf die Ausschüsse anzuwenden seien (das kommt u.a. durch die Form der Verpflichtung von Ausschußmitgliedern zum Ausdruck), auch der Auffassung sein, daß der Antrag von der Mehrheit der Ausschußmitglieder gestellt werden muß.
Denn sowohl im Falle Brandner 2019 als auch im Falle Siegmund 2024 ist der Antrag selbst durch den betreffenden Ausschuß gestellt worden.
Von dieser Auslegung unberührt bliebe die Vorschrift, daß nur der Rat selbst mit zwei Dritteln seiner gesetzlichen Mitglieder die Abwahl beschließen kann.
Formal muß zwischen dem Eingang des Antrags und der Sitzung des Rates eine Frist von wenigstens zwei Tagen liegen. Über den Antrag ist ohne Aussprache abzustimmen.
In der alten Fassung von § 67 Abs. 4 GO NRW hieß es, der Nachfolger sei innerhalb von zwei Wochen ohne Aussprache in geheimer Abstimmung zu wählen. Das Erfordernis der geheimen Abstimmung ist mit der Neufassung entfallen.
Die am 5. 11. 2025 in Bad Salzuflen als eine von drei stellvertretenden Bürgermeistern gewählte AfD-Kandidatin Reinknecht wurde zwei Wochen später – am 19. November – vom Rat der Stadt mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen (57 gegen 13) wieder abgewählt. Wenn Reinknecht und die AfD-Fraktion öffentlich beklagten, daß vor dem Vorgang der Abwahl die Noch-Bürgermeisterin keine Gelegenheit hatte, „ein paar Worte zu sagen“, dann spricht daraus eine gewisse Unkenntnis der Gemeindeordnung.
Im Hinblick auf die nachfolgende Beurteilung verweisen wir auf den Abwahlantrag vom 16. 11. 2025 (Drucksache 244/2025), in dem es heißt:
„Der Rat der Stadt Bad Salzuflen möge gemäß § 67 Abs. 4 GO NRW beschließen, die 3. Stellvertretende Bürgermeisterin, Frau Sabine Reinknecht von ihrem Amt abzuberufen.“
Begründung der Antragsteller: Keine.
Die Voraussetzungen einer Abwahl nach § 58 Abs. 5 Satz 8 unter Verweis auf § 67 Abs. 4 Satz 1 bis 5 stellen nach dem Gutachten der Kanzlei Höcker „hohe Anforderungen“ dar, weil „der Widerspruch die Ausnahme sein soll“ und nur bei erheblichen Zweifeln an der persönlichen Eignung oder Integrität der Person gerechtfertigt sei. „Ein Widerspruch aus rein politischen Gründen ist dagegen nicht im Sinne und Zweck der Vorschrift.“
Demgegenüber sind zwei Dinge festzuhalten. Weder bei Brandner 2019 noch bei Siegmund 2024 sind Sachverhalte vorgetragen worden, die sich auf die mangelnde fachliche Qualifikation oder auf ihr Verhalten im Ausschuß bezogen. Anlaß waren vielmehr explizit politische Bewertungen von Äußerungen in sozialen Medien bzw. Behauptungen über ein „Potsdamer Treffen“, die der juristischen Nachprüfung in weiten Teilen nicht standgehalten haben.
Ferner haben wir nicht ohne Grund aus dem BVG-Urteil vom 18. 9. 2024 bzw. aus dessen Zusammenfassung zitiert, wonach der Ausschußvorsitz eine Funktion rein organisatorischer Art sei, so daß der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit nicht gelte. Und das ist ein Argument von mehreren, um die Klage der AfD in vollem Umfange abweisen zu können.
Wir betrachten diese Auslegung als ein juristisches Scheinargument, um den Grundsatz auszuhebeln, wonach Fraktionen unter Zugrundelegung der jeweiligen prozentualen Stärkeverhältnisse ein Zugriffsrecht auf Ausschußvorsitze haben.
In der WAZ heißt es aus aktuellem Anlaß am 22. November von der einschlägig bekannten Journalistin Nadine Gewehr über den Zugriff der AfD auf den Sozialausschuß:
„Schon lange stellen sich deutschlandweit Sozial- und Wohlfahrtsverbände öffentlich gegen die AfD, weil ihre Werte wie Offenheit, Menschlichkeit und Solidarität mit den Positionen der AfD nicht vereinbar seien.“
Dieses Zitat zeigt doch ganz deutlich, wie losgelöst von der politischen Wirklichkeit die Auffassung von einem Ausschußvorsitz als „Funktion rein organisatorischer Art“ ist. Und die Frage, warum man der AfD den Sozialausschuß überlassen hat, ist ganz einfach zu beantworten: Weil die CDU-Fraktionsvorsitzende Stehr so nett war zu erlauben, daß der Stadtverordnete Babic für die CDU an dritter Stelle den Sportausschuß reklamierte.
Zur Genese des Gesetzesentwurfes.
Die Landtagsfraktion der GRÜNEN hat in einem Artikel vom 21. 2. 2025 „Neues Gesetz soll Kommunalpolitik gleichberechtigter, jünger und moderner machen“ versucht, ideologischen Ballast als Fortschritt zu verkaufen.
Ausgangspunkt war ein Antrag der Landesregierung vom 16. 1. 2024 „Kommunale Demokratie und kommunales Ehrenamt als Fundament unserer freiheitlichen Demokratie stärken und fördern“ (Drucksache 18/7768), der am 25. 1. 2024 vom Landtag angenommen wurde. Auf dieser Grundlage arbeitete das zuständige Ministerium (Kommunales) einen Entwurf aus, der als Vorlage 18/3597 am 13. 2. 2025 dem Landtag vorgelegt wurde.
In dem Entwurf ist § 58 Abs. 5 in der alten Fassung beibehalten worden. Allerdings ist auf Seite 13 der „Begründung zum Gesetzesentwurf“ zu den Bezirksausschüssen der Gemeindebezirke in den kreisangehörigen Gemeinden (§ 39 GO NRW) eine Regelung für die Abwahl des Bezirksausschußvorsitzenden und seiner Stellvertretungen gemäß § 67 Abs. 4 vermerkt:
„Daß eine isolierte Abwahl ohne Auflösung und Neubesetzung des Bezirksausschusses vom Gesetz nicht vorgesehen ist, war Gegenstand von Kritik aus der Praxis.“ Dabei soll das Verfahren nach § 67 Abs. 4 mit der Vorgabe einer Zwei-Drittel-Mehrheit für „eine gewisse Stabilität auch im Vorsitz“ garantieren. Und dann:
„Da die oder der Vorsitzende des Bezirksausschusses anders als die Vorsitzenden der übrigen Ausschüsse des Rats nicht gemeinschaftlich in dem Verfahren nach § 58 Absatz 5 GO NRW (sogenanntes Zugreifverfahren) gewählt wird, bestehen gegen die Möglichkeit der isolierten Abwahl nicht dieselben Bedenken, die gegen eine isolierte Abwahl von Ausschußvorsitzenden im Übrigen spricht, nämlich daß damit das – ggf. einvernehmlich erzielte – Ergebnis des Zugreifverfahrens nachträglich dem Zugriff einer (qualifizierten) Mehrheit preisgegeben würde.“
Die Stellungnahme der GRÜNEN-Fraktion ist aus dem angesprochenen Artikel vom 25. 2. 2025 ersichtlich; nämlich „NRW zieht Lehren aus dem Umgang mit antidemokratischen Kräften.“
Der bundesweit bekannt gewordene Fall der zeitweisen Kaperung der konstituierenden Sitzung des thüringischen Landtags durch einen AfD-Alterspräsidenten habe gezeigt, „daß unsere demokratischen Abläufe vor Mißbrauch und Destruktion geschützt werden müssen. Vor diesem Hintergrund wollen wir die Abwehrkräfte unserer kommunalen Gremien gegen antidemokratische und destruktive Kräfte wie die AfD stärken.“
Der Gesetzentwurf sehe hierzu unter anderem die Einführung einer Abwahlmöglichkeit für Bezirksausschußvorsitzende vor. Das ist ein direkter Verweis auf Erläuterungen zu § 39 GO NRW in der Begründung des Entwurfs Vorlage 18/3597 vom 25. 1. 2025. Die Mängel dieses Entwurfes sind aus der Sicht der Landtagsfraktion der GRÜNEN klar erkennbar:
„Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren werden wir – in enger Abstimmung mit den kommunalpolitischen Vereinigungen – weitere Änderungen prüfen, unter anderem zu wirksameren Ordnungsmaßnahmen, dem Umgang mit antidemokratisch und destruktiv agierenden Ausschußvorsitzenden oder dem Mißbrauch von Fraktionsrechten. Wir wahren dabei die Möglichkeiten zur demokratischen Kontrolle der Verwaltung sowie alle wesentlichen Minderheitenrechte.“
Tatsächlich sind die Vorbehalte der Fachbeamten gegen die Gleichbehandlung von Bezirksausschuß- und Ausschußvorsitzenden in bezug auf eine Abwahl überwunden worden. Im Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 13. 5. 2025 (Drucksache 18/13836) ist in § 58 Abs. 5 eingefügt:
„… und bestimmen die Vorsitzenden. Für die Abberufung einer Ausschußvorsitzenden oder Ausschußvorsitzenden durch den Rat gilt § 67 Absatz 4 Sätze 1 bis 5 entsprechend. Scheidet eine…“
Da die Abberufung offenbar nicht genügte, denn diese setzt einen amtierenden Ausschußvorsitzenden voraus, wurde bis zur Verabschiedung des Gesetzes eine Widerspruchslösung in § 58 Abs. 5 ergänzend eingefügt, die wir bereits beschrieben haben.
Der Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 13. 5. 2025 beginnt unfreiwillig erhellend, gewissermaßen eine Freudsche Fehlleistung, mit folgendem Satz:
„Vor dem Hintergrund der im Jahr 2025 stattfindenden allgemeinen Kommunalwahl ergeben sich insbesondere im Hinblick auf bestimmte Rechtsvorschriften Änderungsbedarfe.“
Anlage:
§ 58 Abs. 5 GO NRW in der alten und ab 1. 11. 2025 gültigen Fassung (Farbdruck).
(5) Haben sich die Fraktionen über die Verteilung der Ausschußvorsitze geeinigt und wird dieser Einigung nicht von einem Fünftel der Ratsmitglieder widersprochen, so bestimmen die Fraktionen die Ausschußvorsitzenden aus der Mitte der den Ausschüssen angehörenden stimmberechtigten Ratsmitglieder. Soweit eine Einigung nicht zustande kommt, werden den Fraktionen die Ausschußvorsitze in der Reihenfolge der Höchstzahlen zugeteilt, die sich durch Teilung der Mitgliederzahlen der Fraktionen durch 1, 2, 3 usw. ergeben; mehrere Fraktionen können sich zusammenschließen. Bei gleichen Höchstzahlen entscheidet das Los, das die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister zu ziehen hat. Die Fraktionen benennen die Ausschüsse, deren Vorsitz sie beanspruchen, in der Reihenfolge der Höchstzahlen und bestimmen die Vorsitzenden. Der Bestimmung von Ausschußvorsitzenden durch eine Fraktion kann nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder innerhalb einer Frist von zwei Wochen widersprochen werden. Der Widerspruch kann schriftlich erklärt werden. Im Falle des Widerspruchs verbleibt das Bestimmungsrecht bei der nach Satz 2 und 3 berechtigten Fraktion. Für die Abberufung einer Ausschußvorsitzenden oder eines Ausschußvorsitzenden durch den Rat gilt § 67 Absatz 4 Satz 1 bis 5 entsprechend. Scheidet eine Ausschußvorsitzende oder ein Ausschußvorsitzender während der Wahlperiode aus, bestimmt die Fraktion, der sie oder er angehört, ein Ratsmitglied zum Nachfolger zur Nachfolge. Die Sätze 1 bis 5 gelten für stellvertretende Vorsitzende entsprechend.
Hinweis: Im Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 13. 5. 2025 ist in § 58 Abs. 5 nur eingefügt worden:
„… und bestimmen die Vorsitzenden. Für die Abberufung einer Ausschußvorsitzenden oder Ausschußvorsitzenden durch den Rat gilt § 67 Absatz 4 Sätze 1 bis 5 entsprechend. Scheidet eine…“