Manche Politiker meinen wohl, die Menschen seien alle blöde. Wolfgang Schäuble ist so ein Fall.
Von E. Noldus.
Am 6. 3. 2019 erschien in der WAZ und zeitgleich in den Online-Zeitungsportalen (z. B. Junge Freiheit vom 6. 3. 2019) ein Interview mit Wolfgang Schäuble. Der Bundestagspräsident stellte klar, die AfD sei Teil der Politik und ihre Wähler müsse man genauso ernst nehmen wie alle anderen Wähler:
„Manche wollen den etablierten Parteien nur zeigen, daß sie besser werden müssen. Diese Aufforderung muß man verstehen – und einfach besser werden“, forderte der CDU-Politiker. Im Parlament müßten alle Beteiligten zusammenarbeiten. „Das geht mal besser und mal schlechter, aber die AfD wird nicht ausgegrenzt.“
Schäuble äußerte Kritik am Politikstil der AfD (etwas anderes zu erwarten, wäre naiv) und meinte zu möglichen Koalitionen: Er wolle sich als früherer Parteichef nicht einmischen, aber: „Mit wem eine Partei koalieren möchte und mit wem nicht, ist ihre freie Entscheidung.“
Hier ist erst einmal klarzustellen, daß Herr Schäuble inzwischen begriffen hat, daß 15 Prozent der Wähler ein beachtliches Potential darstellen, die bei der herkömmlichen Koalitionsarithmetik fehlen. „Ernst nehmen“ heißt übersetzt, man müsse die AfD-Wähler mit ein bißchen Wahlkampfrhetorik zurückholen und dann weitermachen wie bisher.
Für den Fall, daß das nicht klappt, hält er sich opportunistisch alle Möglichkeiten offen. Nach den drei mitteldeutschen Wahlen 2019 könnte Sachsen den ersten Testlauf einer CDU-AfD-Koalition bringen, falls die Linke als voraussichtlich drittstärkste Kraft allein nicht stark genug zur Mehrheitsbeschaffung fähig ist.
„Einfach besser werden“ ist leicht gesagt, aber bei der Form der politischen Auslese, die in den Regierungsparteien betrieben wird, schwer bis unmöglich. Die Kanzlerin zeigt unübersehbar Abnutzungserscheinungen und die um sie versammelten Hofschranzen reden ihr nach dem Munde, um im passenden Moment den Absprung zu wagen. Die kurzzeitig aufgeflammte Diskussion um den von der SPD abgelehnten fliegenden Wechsel von Merkel zu „AKK“ kündigt ein politisches Erdbeben an.
Schäubles Behauptung, die AfD werde nicht ausgegrenzt, ist blanker Hohn. Es sei hier nur an zwei Vorgänge um die Bundestagsfraktion erinnert. Bereits im April 2017, also weit vor der Bundestagswahl, sorgte sich der Geschäftsordnungsausschuß des Bundestages um den Posten des Alterspräsidenten. Dieser leitet die konstituierende Sitzung des neugewählten Bundestages. Wilhelm von Gottberg, von 1971 bis 2011 CDU-Mitglied, gebürtiger Ostpreuße und Vorsitzender der Landsmannschaft von 1992 bis 2010, gilt wegen seiner Herkunft und Zugehörigkeit zur AfD als rechtsextrem. Er wäre der Alterspräsident geworden, wenn nicht durch eine Änderung der Geschäftsordnung Wolfgang Schäuble als der Abgeordnete mit der längsten Verweildauer im Parlament es dann tatsächlich wurde.
Auch bei der Wahl des Vizepräsidenten des Bundestags wurde die AfD übergangen. Albrecht Glaser scheiterte im Oktober 2017 auch im dritten Wahlgang. Politisch korrekte Medien schoben Glasers Äusserungen zum Islam als Grund für die Nichtwahl vor. Angesichts der AfD-Mitgliedschaft Glasers hätten auch umstrittene Äußerungen zur Erdrotation genügt. Die zweite Kandidatin Mariana Harder-Kühnel fiel im Dezember durch. Bei ihr machte man sich erst gar nicht die Mühe, nach vermeintlich anstößigen Äußerungen zu suchen. Damit hebelte der Bundestag einen eigenen Beschluß vom 24. 10. 2017 wieder aus, wonach jede Fraktion einen Bundestagsvizepräsidenten stellen sollte.