Wer von Nachrichtenmanipulationen hört, denkt entweder an Donald Trump oder George Orwell. Die Kunst, die öffentliche Meinung durch Weglassen von Details in die Irre zu führen, gehört wohl heute zum Grundbestand der journalistischen Ausbildung bei den Leitmedien. Oder ist die Fähigkeit, sich selbst zu belügen, schon so weit fortgeschritten, daß es sich bereits um unbewußte Vorgänge handelt?
Der Text als pdf-Datei: 20220112b_Kondome
In der ersten Januar-Woche ging eine unscheinbare Meldung durch sehr viele westdeutsche Zeitungen, die offenbar eines gewissen humoristischen Hintergrundes nicht entbehrte. Eine 33jährige hatte in einer Bahnhofstoilette in Hannover Kondome gezogen. Die Packung fiel versehentlich auf den Boden, was ein vorbeikommendes Pärchen – er 27 Jahre, sie 21 Jahre mit Baby – zu abfälligen Kommentaren verleitete. Der 49jährige Begleiter versuchte zu schlichten, wurde angegriffen und setzte sich mit Pfefferspray zur Wehr. Die Gegenseite wehrte sich in gleicher Weise und fertig war das Genrebild von zwei „Pärchen“, die sich wegen Kondomen mit Pfefferspray bekriegten.
In den Zeitungen, die den Vorfall auf „humoristisch“ trimmten, wie etwa die WAZ am 7. Januar, ließ man den Umstand weg, daß der 49jährige bespuckt worden war und auch das Baby Pfefferspray abbekommen hatte. Aber auch bei den ausführlicheren Fassungen dieser Meldung wird sich mancher Leser eines gewissen Schmunzelns nicht erwehrt haben – wenn auch wegen des Kleinkindes mit schlechtem Gewissen.
Es ist nun für jeden, der „Hannover Kondome Pfefferspray“ in eine Suchmaschine eingeben kann, überprüfbar, daß in dem einen Dutzend Meldungen stets nur vom Alter der Beteiligten die Rede ist.
Quelle dieser Artikel ist eine Meldung der Bundespolizei (auch auf polizei-meldungen.com), die allerdings erst ziemlich weit unten auf der Trefferliste auftaucht:
https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/70388/5114818
Darin ist von einem „Paar aus Peine“ die Rede und etwas weiter von einem „27jährigen Palästinenser“.
Diese Herkunftsbezeichnung ist in allen Zeitungsmeldungen der redaktionseigenen Selbstzensur zum Opfer gefallen. Auch die Tatsache, daß das 33jährige Opfer wohnungslos war, wurde unterschlagen. Sonst könnte man vielleicht auf die Idee kommen, daß hinter der Spuckattacke mehr als „nur“ eine einfache Beleidigung steckte.