„Weltkulturerbe“ hört sich gut an, aber der Teufel steckt im Detail. Zu diesem Thema ist auch innerhalb der AfD-Fraktion der Weg zu einer einheitlichen Linie etwas länger gewesen. Um so besser ist, daß das Ergebnis des Abstimmungsprozesses am Ende alle überzeugt hat (pdf-Version unten). Von E. Noldus.

In der Sitzung des Kulturausschusses am 10. 12. 2020 wurde auch ein Antrag zur Aufnahme der „Industriellen Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ in die deutsche Vorschlagsliste für das UNESCO-Welt­kulturerbe behandelt. Die Vorlage wurde einstimmig (mit der Stimme der AfD) positiv vorberaten mit dem Hinweis, daß in der Vorschlagsliste die St. Antony-Hütte fehlte. Einen Tag zuvor hatte der AfD-Vertreter im Stadtplanungs- und Mobilitätsausschuß den Aufnahmeantrag überhaupt abge­lehnt.

Ist dieses Abstimmungsverhalten widersprüchlich oder ein Anzeichen mangelnder Koordination? Tatsächlich spiegelt sich darin eine Meinungsvielfalt, welche auf unterschiedlichen Ansätzen fußt: Der Erhalt einer historischen Bausubstanz frühindustriellen Charakters mag andernorts grotesk er­scheinen. Andererseits ist der rasche Wandel im 19. Jahrhundert von einer Agrarlandschaft hin zu einer Industrielandschaft relativ einzigartig. Und damit ist kulturhistorisch die Bewerbung für die Aufnahme in die UNESCO-Liste gerechtfertigt.

Andererseits sind damit Auflagen verbunden, die auf die Umgebung der so definierten schützens­werten Flächen (die Vorschläge zielten weniger auf einzelne Gebäude, sondern auf Ensembles) zu­rückwirken. Denkmalschützerische Vorschriften beeinträchtigen dann als Hemmschuh die weitere städtebauliche Entwicklung. Und dieser zweite Aspekt hat den AfD-Vertreter im Stadtplanungsaus­schuß zu seiner ablehnenden Haltung motiviert.

Im Haupt- und Finanzausschuß ist die Vorlage am 14. 10. 2020 gegen eine Stimme der AfD vorbe­raten worden. Diesem Abstimmungsverhalten war innerhalb der AfD-Fraktion ein Klärungsprozeß vorausgegangen. Man war sich dann doch einig, daß die möglichen negativen wirtschaftlichen Fol­gen schwerer zu gewichten seien als die möglichen kulturellen Werbeeffekte.

Zufällig ist diese Einschätzung kurz darauf gerechtfertigt worden. Nach einem WAZ-Artikel vom 26. 12. 2020 war der Besitzer des Restaurants „Hackbarth’s“ aufgefordert worden, seine seit 30 Jah­ren vor einer Mauer stehende Werbetafel abzubauen. Dabei hatte die Stadt seinerzeit die Baugeneh­migung erteilt.

Nun habe das Bauamt mitgeteilt, die Werbung sei geändert worden und dadurch genehmigungs­pflichtig. Es habe dem Besitzer im August erklärt, die Tafel sei planungsrechtlich und aus denkmal­rechtlicher Sicht unzulässig usw. usw.

Abgesehen davon, daß gerade in der jetzigen Situation die Gastronomie der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffene Wirtschaftszweig darstellt: Welche nervliche Belastung kommt durch ein solches ungereimtes Vorgehen des Bauamtes zusätzlich auf den betroffenen Gastronomen zu?

Den Nachweis einer baulichen Änderung (daraus begründet sich die Genehmigungspflicht) braucht das Bauamt nicht zu führen! Es behauptet einfach – und der Gastronom muß den Gegenbeweis füh­ren. Aber wie?

Ämter haben immer recht – der Kampf gegen die Bürokratie ist ein Kampf gegen Windmühlenflü­gel. Und gerade an diesem praktischen Beispiel zeigt sich, wie die an sich gute Idee eines Antrages auf Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe zerfleddert wird: Durch Vorschriften, durch eine mit bloßen Behauptungen agierende Bürokratie (der WAZ-Artikel zeigt das sehr schön auf), durch le­bensferne „Entscheidungen“.

Die skeptische Haltung seitens des Dezernenten Güldenzopf zu dem Antrag speist sich eher aus sei­ner Kenntnis des bürokratischen Aufwandes, der damit verbunden ist. Das Land NRW hat der Stif­tung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur aus Dortmund die Bearbeitung des Antrages übergeben (der Oberhausener Antrag ist Teil eines Gesamtpakets mehrerer Ruhrgebietskommunen). Man veranschlagt eine dreistufige Organisationsstruktur aus Koordinierungsbüro, Lenkungsgruppe und Welterbekonvent. Konkret drei Vollzeitstellen mit einem vermuteten Finanzvolumen von 250.000 bis 300.000 Euro jährlich. Die beteiligten Kommunen würden dann darüber verhandeln, wer welche Kosten übernimmt – endlose Sitzungen irgendwelcher Gremien sind also schon vorpro­grammiert. Im Oktober 2021 will das Land NRW darüber entscheiden, welche Bewerbungen an den Bund weitergereicht werden. Für Januar 2024 ist die Einreichung der deutschen Antragsliste bei der UNESCO vorgesehen (aus der Beschlußvorlage).

Die Verwaltungsvorlage listet das Für und Wider eines Antrages auf Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe wie folgt auf:

Chancen

Risiken

Tourismusförderung (national bzw. international)

rechtliche Folgen für Schutzkategorien unklar

Bedeutung der Einzeldenkmale hervorgehoben

finanzielle Auswirkungen für die Kommunen nicht klar

stärkere Vernetzung und Verbindung der Region

weitere Bürokratie im Genehmigungsverfahren nicht ausgeschlossen

Stärkung des Wir-Gefühl (Identifikation)

erschwerte Umsetzung städtebaulicher Zielvor­stellungen der Kommune

breites Spektrum an Wissen für Schulen und neue Forschungsfelder für Universitäten und Hochschulen in der Region

weitere Transformationsprozesse sind möglich, müssen aber im Sinne des Welterbe-Guts und sei­ner Werte (Attribute) gelenkt werden

internationale Strahlkraft des Wirtschafts- und Kulturstandortes

nicht abschätzbarer zusätzlicher Arbeitsaufwand für Umsetzung des Welterbes durch Bestimmun­gen des neuen Denkmalschutzgesetzes, u.a.

erleichterter Zugang zu internationalen För­dermöglichkeiten

Man kann auf eine Besprechung aller Punkte verzichten. Dem Dezernenten und der Stadtverwal­tung kann man zugute halten, daß sie den Verantwortlichen der Politik deutlich genug aufzeigen, wie sinnlos das ganze Projekt unter Berücksichtigung der deutschen Verwaltungswirklichkeit da­steht. (E. Noldus)

Der Artikel als pdf-Text: 20210106_Weltkulturerbe