Weitgehend unbemerkt geblieben ist die eminent wichtige Tatsache, daß seit einem dreiviertel Jahr der Stadtrat als das nominell höchste Organ der Stadt Oberhausen nicht mehr getagt hat. Die AfD-Fraktion fordert entschieden die Rückgabe der Kompetenzen an den Stadtrat ein. Von E. Noldus.

Ein Leserbrief….

Am 22. Januar hat die WAZ Oberhausen einen Leserbrief von Gerhard Niemeyer veröffentlicht, in welchem dieser feststellte, daß sich die AfD durch ihr populistisches Grußwort selbst disqualifiziert habe und das ungehinderte In-die-Welt-setzen des „agitatorischen Sermons“ zeige, daß es Rede- und Denkverbote in Deutschland nicht gebe. Weiter heißt es im Leserbrief:

„Was Sie Corona-Aktionismus nennen, ist die Umsetzung der Daseinsvorsorge durch die Verwal­tung für die Oberhausener Bürgerinnen und Bürger – und diese Maßnahmen zur Daseinsvorsorge wurden und werden von den Ratsmitgliedern unterstützt, die ihre Verantwortung kennen und da­nach handeln.“

Als Reaktion auf die Veröffentlichung am 22. Januar schrieb der AfD-Stadtverordnete Noldus am 26. Januar einen Leserbrief an die WAZ-Lokalredaktion, den wir nachstehend wiedergeben:

„Der Leserbrief von Herrn Niemeyer vom 22. Januar zum AfD-Grußwort enthält Bewertungen („agitatorischer Sermon“), die man als Meinungsäußerung legitim finden kann. Mögen nach seiner Meinung die Ratsmitglieder ihre Verantwortung kennen – danach handeln tun sie jedenfalls nicht.

Der Stadtrat hat mit 55 gegen 4 Stimmen den AfD-Antrag am 16. November abgelehnt, die Kompe­tenzen nicht an den Haupt- und Finanzausschuß zu übertragen. Diese „Delegation“ der Kompeten­zen ist Anfang Dezember mit 47 gegen 6 Stimmen (E-Mail-Abstimmung!) bestätigt worden.

Die Stadtverordneten der Altparteien haben ihren Auftrag, für ihre jeweiligen Wähler zu sprechen, nicht wahrgenommen. Sie haben sich aus ihrer Verantwortung gestohlen und sind ihren Pflichten nicht nachgekommen.

Der Stadtrat ist das Kernstück der parlamentarischen Demokratie auf kommunaler Ebene und laut Hauptsatzung der Stadt Oberhausen deren oberstes Organ. Dessen bedingungslose Selbstentmach­tung ist für den Zustand unserer Demokratie ein bedenkliches Zeichen, weil die Altparteien „Volks­vertreter“ aufbieten, die ihr Mandat an die Verwaltung abtreten, anstatt die Interessen ihrer Wähler (siehe die Freiheit des Mandates) zu vertreten.

In dem Papier-Interview* in dieser Zeitung betont der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts, er sei überrascht, daß „derart intensive Freiheitsbeschränkungen von der zweiten Gewalt, der Exe­kutive, beschlossen“ werden. Er kritisiert völlig zu Recht die Tatsache, daß eine Konferenz der Mi­nisterpräsidenten unter Vorsitz der Kanzlerin die höchste parlamentarische Vertretung – den Bun­destag – beiseite schiebt.

Die AfD-Ratsfraktion wird weiterhin dafür eintreten, daß die Stadtverordneten sich besinnen und sich endlich ihrer Verantwortung, welche der Wähler an sie herangetragen hat, stellen.

Wir sind keine Untertanen!“

* Siehe den Hinweis am Schluß des Artikels.

… und seine Vorgeschichte

Der in der WAZ veröffentlichte Leserbrief ist wortgleich (mit unwichtigen syntaktischen Änderun­gen und einer zusätzlichen Meinungsäußerung) am 2. Januar bei der Fraktion eingegangen und der Ausgangspunkt eines kurzen, aber doch sachlichen Briefwechsels in elektronischer Form gewesen. Wir geben den Inhalt in einer Form wieder, daß Argument und Gegenargument einander gegenüber­gestellt werden. Der Leser soll sich selbst ein Bild machen.

Behauptung: Rede- und Denkverbote gibt es in Deutschland nicht. Das zeigt sich daran, daß die AfD ihren agitatorischen Sermon ungehindert in die Welt setzen darf.

Diese Bewertung ist eine Sache, die jeder für sich vornimmt.

Behauptung: Die AfD verharmlost die Corona-Pandemie in unzulässiger Weise.

Ob es sich um eine unzulässige Verharmlosung handelt, ist eine pauschale Wer­tung, die man weder stützen noch angreifen kann. Man verbuche sie als legitime Mei­nungsäußerung.

Behauptung: Die Oberhausener AfD leugnet die vom Land NRW festgestellte epidemische Lage und die sich daraus vom Stadtrat mit überwältigender Mehrheit beschlossene Delegierung auf den Hauptausschuß und nennt das „Corona-Aktionismus“.

Die Oberhausener AfD leugnet nicht die epidemische Lage. Es handelt sich viel­mehr um eine Tatsache, welche der Politik die schwierige Aufgabe stellt, das Richtige zu tun.

Die Fraktion ist der Überzeugung, daß der Stadtrat als das Kernstück der parla­mentarischen Demokratie auf kommunaler Ebene seine ihm zustehenden Rechte wahren sollte. Die angezogene Verordnung (über die Feststellung der epidemischen Lage) der Landesregierung ermöglicht es lediglich als Option, nicht als Vorgabe, die Ratskompetenzen an den Hauptausschuß abzugeben.

Behauptung: Die Maßnahmen der Verwaltung zur Daseinsvorsorge wurden und werden von den Ratsmitgliedern unterstützt, die ihre Verantwortung kennen und danach handeln.

Die 59 Ratsmitglieder haben ihre Befugnisse komplett an den Haupt- und Finanz­ausschuß abgegeben (Ratssitzung vom 16. 11. 2020 mit 55 gegen 4 Stimmen) und ihren Beschluß Anfang Dezember mit 47 gegen 6 Stimmen mittels Mail-Abstimmung bestätigt.

Der Rat als solcher (und somit dessen Mitglieder) hat weder seine Verantwortung wahrgenommen noch hat er gehandelt. Ratssitzungen finden folgerichtig nicht mehr statt.

Die AfD war und ist bis jetzt die einzige Fraktion, die zu beiden Gelegenheiten vollständig und konsequent gegen die Übergabe der Ratskompetenzen an den Haupt- und Finanzausschuß gestimmt hat.

Behauptung: Vier neue Mitglieder [gemeint: die AfD-Fraktion] erdreisten sich, die anderen Ratsmit­glieder darüber zu belehren, welche Verantwortung und Pflichten sie haben.

Die Aufforderung, sich der Verantwortung und den Pflichten zu stellen, ist keine dreiste Belehrung, sondern die logische Konsequenz des durch freie und geheime Wahlen errungenen Mandates.

Verantwortung und Pflicht verweisen in den Bereich der Individualethik. Das Handeln nach bestem Wissen und Gewissen sollte man a priori auch dem politischen Gegner zugestehen.

Wenn jemand damit zufrieden ist, daß der von ihm gewählte Volksvertreter nach Hause geht, anstatt sein Mandat wahrzunehmen und für den Wähler zu sprechen, ist das natürlich dessen Angelegenheit.

Behauptung: Die AfD Oberhausen behauptet, sie repräsentiere das Volk (Antragsbegründung vom 16. 11. 2020 durch den Stadtverordneten Noldus). In Wirklichkeit vertritt sie lediglich die Minderheit der Wähler, die in Oberhausen die AfD gewählt haben.

Der Grundgedanke in der Antragsbegründung ist der, daß der Stadtrat als Kör­perschaft die zentrale Einrichtung der parlamentarischen Demokratie auf der unter­sten Ebene von drei, der kommunalen. darstellt. Jeder Stadtverordnete repräsentiert seine (!) Wähler und hat durch dieses Mandat begründete Vorrechte, aber eben des­halb auch besondere Pflichten. Vom Einzelnen und seiner Individualethik erfolgt der Sprung auf die Ebene der Körperschaft:

„Aber gemeinsam repräsentieren wir mehr, nämlich das Volk. Und damit sind wir eine Volksvertretung – das Kernstück der Demokratie.“

Aus dem Kontext geht eindeutig hervor, daß nicht die Fraktion gemeint ist, son­dern die Gesamtheit der Stadtverordneten („..gemeinsam repräsentieren..“). Nie­mand hat behauptet, die AfD-Fraktion allein würde das Volk vertreten.

Hinweis: Am 22. Januar gab der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, der WAZ ein Interview, in welchem er an einer Stelle ausführte, daß massive Grundrechtsbeschränkungen ei­gentlich nur von der „obersten Volksvertretung“, dem Bundestag, bestimmt werden dürften. Er kommentierte damit die Tatsache, daß die Corona-bedingten Maßnahmen von der Bundeskanzlerin in einer Konferenz aller Ministerpräsidenten festgelegt wurden bzw. werden. Weiter heißt es:

ich hätte mir als Staatsrechtler nie vorstellen können, daß derart intensive Freiheitsbeschränkungen von der zweiten Gewalt, der Exekutive, beschlossen werden. Und ich wundere mich, wie wenig in der politischen Auseinandersetzung der rechtsstaatliche Grundsatz gewürdigt wird, daß der Zweck – auch der gute des Ge­sundheitsschutzes – nicht jeden Grundrechtseingriff rechtfertigt.“ 

Der Text als pdf-Ausgabe: 20210129_Rat_Delegation