Seit einem Jahr ersetzt der Haupt- und Finanzausschuß (HFA) den Stadtrat, der sich in schöner Regelmäßigkeit selbst nach Hause schickt. Angeblich, so die Vertreter der beiden großen Parteien CDU und SPD, macht es keinen Unterschied, ob HFA oder Stadtrat über die Geschicke Oberhausens entscheiden. Wir werden das Gegenteil beweisen. Von E. Noldus.

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Worum es geht.

Die wegen der Corona-Pandemie mögliche Übertragung der Kompetenzen des Stadtrates auf den Haupt- und Finanzausschuß auf der Grundlage eines Gesetzes der NRW-Landesregierung vom 14. 4. 2020 wurde immer damit begründet, daß eine Sitzung des Stadtrates in voller Besetzung im Saal Berlin der Luise-Albertz-Halle ein zu großes Ansteckungsrisiko berge.

Das Argument, welches vor einem Jahr beim Auftreten eines noch unbekannten Virus eine gewisse Berechtigung hatte, wird inzwischen vorgeschoben, um vordergründig die Alleinherrschaft der beiden großen Parteien CDU und SPD zu zementieren. Ironischerweise haben die Sozialdemokraten noch nicht gemerkt, daß sie damit in die Rolle des Juniorpartners geschlüpft sind.

Am 5. 2. 2021 haben wir in einem Artikel an dieser Stelle eine Übersicht gegeben, um auch politisch weniger Interessierten die Bedeutung eines Vorganges nahe zu bringen, der in der Nachkriegsgeschichte der BRD ziemlich einmalig ist: Die Zerschlagung der kommunalen Selbstverwaltung mit Rücksicht auf die Gesundheit der Fraktionsvorsitzenden Stehr (CDU) und Bongers (SPD).

Von 59 Ratsmitgliedern sind nach der Verlagerung der Ratskompetenzen in den Haupt- und Finanzausschuß (HFA) 22 übrig geblieben. Eigentlich müßte man sagen: Nach der Flucht der gewählten Volksvertreter aus ihrer Verantwortung gegenüber ihren Wählern.

Mandatsverlust…

Der von 1153 Oberhausenern gewählte Stadtverordnete Horn ist nicht im HFA vertreten, ist also um sein Mandat gebracht und seine Wähler sind um ihr Stimmrecht betrogen worden. Wenn Herr Horn offensichtlich damit gut leben kann, denn öffentlich hat er sich zu diesem Mandatsverlust – jedenfalls für uns – nicht vernehmbar geäußert, ist das seine Angelegenheit. Wir weisen dennoch darauf hin, weil wir diesen Vorgang für exemplarisch halten.

… und Sitzungsabsagen.

Der Kahlschlag geht weiter, da der Herr Oberbürgermeister das Seine dazu beigetragen hat, um die Ausschüsse und damit auch den HFA weiter zu verkleinern, wegen der um ihre Gesundheit besorgten Politgrößen Stehr und Bongers. Ausschüsse werden nochmals verkleinert „mit der Bitte um entsprechende Berücksichtigung“. Übersetzt heißt das: die Stadtverordneten werden dezent aufgefordert, auf ihr Teilnahmerecht an der Ausschußsitzung zu verzichten (Schulausschuß zum 11. 3. 2021). Inzwischen sagen Gremien sogar komplette Sitzungen ab, weil es zu wenig Tagesordnungspunkte gibt; und „auch hinsichtlich des Pandemie-Geschehens“ (Beirat für Menschen mit Behinderung 29. 3. 2021).

Diese weiteren Beschränkungen sind nicht etwa die Folge eines erhöhten Infektionsgeschehens, sondern die logische Konsequenz einer mit der Ausschaltung des Stadtrates begonnenen Entwicklung: Hat man sich erst einmal an Kompetenzverlagerungen und Verkleinerungen gewöhnt, wird der Ausnahmezustand zur Normalität und der Wegfall von Sitzungen ist dann eben auch „normal“. Sind die Tagesordnungspunkte nicht wichtig, nur weil sie „zu wenige“ sind?

Wer kontrolliert die Abstimmungen?

Die Stadtverordneten durften mehrmals über die Kompetenzverlagerung abstimmen; nur am 16. 11. 2020 im Rahmen einer ordentlichen Sitzung (54 gegen 5). Ansonsten wurde per Mail abgestimmt und die Ergebnisse nur summarisch bekanntgegeben: vor dem 14. 12. 2020 (47 gegen 6) und vor dem 8. 2. 2021 (44 gegen 6). Zu letzterem die Erläuterung der Stadtverwaltung:

Die Abstimmung in Textform für die Dezember-Sitzung ergab, daß der Oberbürgermeister, die SPD-Fraktion, große Teile der CDU-Fraktion, große Teile der Fraktion DIE GRÜNEN sowie Herr Bruckhoff (BOB) für die Delegierung waren. Die AfD-Fraktion (4 Stimmen), Frau Hansen und Herr Karacelik (LINKE) stimmten dagegen.

Das nächste Ergebnis (für die Ratssitzung vom 22. März) wurde am 12. 3. 2021 verkündet: „Die Textformabstimmung ist abgeschlossen und hat ergeben, dass mehr als zwei Drittel der Mitglieder des Rates für eine Delegierung… gestimmt haben.“

Da wir uns im Gegensatz von Frau Bongers daran halten, daß im Ältestenrat besprochene Dinge auch tatsächlich nichtöffentlich bleiben, ergänzen wir nur die am 15. März im HFA mitgeteilte Anzahl der Ja-Stimmen, nämlich 42.

Wer garantiert, daß das Ergebnis nicht manipuliert worden ist? Eine Abstimmung per e-Mail ist geradezu eine Farce, wenn man folgendes bedenkt: Die personelle Verflechtung mindestens der beiden großen Fraktionen SPD und CDU mit der Verwaltung ist so stark, daß dort die genauen Ergebnisse bekannt sind. Wer dennoch die Veröffentlichung der namentlichen Abstimmung verweigert, muß sich den Vorwurf einer möglichen Manipulation gefallen lassen. Dahinter aber steckt die Arroganz der Macht.

Die Mehrheitsverhältnisse ändern sich!

Unser oben erwähnter Artikel vom 5. Februar auf dieser Seite bot die Grundlage einer verzerrten Darstellung in der WAZ vom 8. Februar. Wir gehen hier nur auf die dort aufgestellte Behauptung ein, durch die Verlagerung der Kompetenzen auf den Hauptausschuß würden die Mehrheitsverhältnisse gewahrt. Das ist zugleich eines der wichtigsten Argumente der Befürworter einer Kompetenzverlagerung vom Rat in den HFA.

Zu Beginn der HFA-Sitzung (für den Rat) am 8. Februar räumten Frau Stehr und Frau Bongers, sekundiert von FDP und BOB, unter Hinweis auf ihre Pflicht zur Gesunderhaltung die halbe Tagesordnung ab. Schmerzlich für die GRÜNEN, deren Fraktionsvorsitzende Opitz ungefähr am 10. Februar in der WAZ anmerkte:

„CDU und SPD machten mit einem Antrag zur Geschäftsordnung klar, wie in Oberhausen demokratische Prozesse zu laufen haben… Wir wollen nicht nur einen Haushalt abnicken, sondern kontrovers für die Belange unserer Stadt einstehen – und das auch in dieser schwierigen Zeit.“ Die demokratischen Prozesse seien endgültig als gestört zu bewerten.

Bekanntlich hatten die LINKEN und GRÜNEN im Vorfeld jener Sitzung einen Antrag zur zusätzlichen Aufnahme von Flüchtlingen („Seebrücke“, „Sicherer Hafen“) gestellt, der plötzlich am Freitagmittag vor der Sitzung von der SPD mit einem inhaltlich ähnlichen Antrag flankiert wurde. „Leider“ schob die AfD kurzfristig am Montagmorgen einen Gegenantrag nach, der die CDU in eine peinliche Lage brachte:

Mit der AfD durfte man nicht stimmen. Für den Seebrücken-Antrag zu stimmen, war aber auch nicht gut, da die CDU damit ihre 2019 vertretene Position aufgegeben hätte (damals war man dagegen). Um nicht Farbe bekennen zu müssen und um Zeit zu gewinnen, wurden alle Seebrücken-Anträge (und noch einige mehr) von der Tagesordnung gehievt.

Die Enttäuschung von Frau Opitz ist verständlich: eine rot-rot-grüne Koalition unter stillschweigender Duldung der CDU (der späte SPD-Antrag, hätte Frau Stehr lamentiert!) würde das Lieblingsprojekt durchbringen. Aber dann der AfD-Antrag…

Die Taktik ändert sich!

Die nächste HFA-Sitzung (als Stadtrat) am 22. März brachte dann eine Überraschung. Die GRÜNEN zogen zu Beginn den Seebrücken-Antrag zurück: Der HFA spiegele nicht die Mehrheitsverhältnisse im Rat wider.

Die Tabelle zeigt die Folgen der Kompetenzverlagerung. Die Parteien sind mit ihren Anfangsbuchstaben bezeichnet; dazu kommt der Stadtverordnete Horn. Im Stadtrat hätte Rot-Rot-Grün eine Mehrheit von 30 gegen 29 Stimmen. Im HFA sind es 11 gegen 11 Stimmen, was eben nicht reicht.

C

S

G

A

L

B

F

H

Ges.

HFA

7+1

7

3

1

1

1

1

22

Rat

19+1

19

8

4

3

2

2

1

59

Bald werden die Stadtverordneten – natürlich per Mail – über die Abgabe ihrer Kompetenzen an den HFA entscheiden. Die GRÜNEN sind im Gegensatz zu ihrem früheren Abstimmungsverhalten in dieser Frage auf die AfD-Linie eingeschwenkt und werden das sogar vielleicht öffentlich begründen. Sie werden plötzlich entdeckt haben, daß man 6 ihrer Stadtverordneten durch die Verlagerung in den HFA an der Ausübung ihres Mandates gehindert habe. Sie werden sich auf ihre Rechte berufen – und sie tun gut daran.

Aber sie werden nicht mit der Wahrheit herausrücken; nämlich daß es ihnen nur um die Seebrücke geht und nicht um ihre Rechte – und Pflichten – als Mandatsträger.