In den Bezirksvertretungen sind die Beratungsgegenstände im landläufigen Sinne oft unpolitisch. Es geht um Detailfragen und kleine Verbesserungen. Aber gerade dann ist das Abstimmungsverhalten oft vielsagend. (E. Noldus.)
Der Text als pdf-Datei: 20210708b_AfD-Antraege_BV_Alt-OB
Konkret geht es um die Sitzung der Bezirksvertretung Alt-Oberhausen vom 16. 6. 2021. Wie schon üblich, hatte die Zwei-Mann-Fraktion der AfD kleinere Anträge vorbereitet und auf die Tagesordnung setzen lassen. Dort tauchten sie dann als Anträge gemäß § 2 der Geschäftsordnung für den Rat der Stadt Oberhausen unter Punkt 6 auf. Die jeweiligen Begründungen sind darunter gesetzt:
-
Festlegung eines Taxistandes/Stellplatzes auf der Paul-Reusch-Straße vor dem neuen Hotel (vormals Kaufhofgebäude).
Durch persönliche Gespräche mit Taxifahrern, die den Verlust der dortigen Taxistände beklagen, ist der Bedarf für einen Stellplatz / Taxistand festzustellen. In der jüngeren Vergangenheit befanden sich im fraglichen Bereich mehrere Taxistände. Zudem sollte vor einem Hotelgebäude die Möglichkeit für An- und Abreise unabhängig vom ÖPNV angeboten werden, um die Servicequalität zu verbessern.
-
Namensvergabe für die Grünanlage am Wasserturm (Bereich Mülheimer Straße/Duisburger Straße).
Da seit dem Jahre 2020 eine neue Städtepartnerschaft mit der Stadt Tychy (Polen) besteht, wäre es, wie bei anderen Städtepartnerschaften auch, angebracht, eine Örtlichkeit in unserem Stadtbezirk zu suchen, welche noch keinen eigenen Namen besitzt, um diese nach der polnischen Partnerstadt zu benennen.
-
Aufstellung zweier Hinweisschilder („Landschaftsschutzgebiet“) an den Eingängen Lipperstraße und Knappenstraße der Knappenhalde.
Seit dem Jahre 2020 ist an der Knappenhalde ein Schild entfernt worden, welches die Knappenhalde als Landschaftsschutzgebiet ausweist. Der Antragsteller bittet um eine Beschilderung beider Eingänge. Die Schilder sollen den Spaziergängern als Hinweis dienen, der Natur den nötigen Respekt entgegenzubringen. Sie mögen zukünftig eine Aufforderung sein, weder Müll zu entsorgen noch Sachbeschädigungen zu begehen, welche eine Veränderung der Flora zur Folge haben.
„Wer Deutschland retten will, ist in der Kommunalpolitik falsch!“ Lange vor der Kommunalwahl 2020 hatte ein AfD-Kommunalpolitiker aus Emmerich bei einer internen Informationsveranstaltung diese beiläufige Bemerkung fallen lassen. Diese Anträge illustrieren gewissermaßen die Richtigkeit dieser Anmerkung. Interessant ist nun, wie die Bezirksvertretung reagierte.
Der Antrag betreffend Taxi-Stände auf der Paul-Reusch-Straße wurde auf kuriose Weise erledigt. Die SBO hatten zwei Stellplätze ausgewiesen, so daß Dezernent Motschull mit Unschuldsmiene erklären konnte, der Antrag habe sich erledigt, weil man dort „sowieso“ tätig geworden sei. Aus diesem Grunde zog die AfD-Fraktion den Antrag zurück.
Die AfD-Anträge betreffend „Tychy-Park“ und „Beschilderung“ wurden, wie üblich, von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Zu allen drei Anträgen fand eine Aussprache nicht statt.
Umgekehrt haben die beiden AfD-Vertreter Anträgen anderer Parteien zugestimmt, sofern sie diese sachlich richtig fanden. Ein SPD-Antrag betraf die Überarbeitung der Wege auf dem Deich in Höhe des Biotops im Ruhrbogen sowie einen Zugang von der Straße „Am Ruhrufer“ auf den Deich für Rollstuhlfahrer; in Form eines Prüfauftrages an die Verwaltung. Die CDU hatte beantragt, im Bereich Rolandstraße/Danziger Straße auf einer Grünfläche Parkbänke aufzustellen. Beide Anträge wurden einstimmig mit den Stimmen der AfD angenommen.
Kurios: Vier CDU-Anträge wurden zurückgezogen. Sie betrafen „Outdoor-Fitness“ in den Bereichen Ruhrpark, Altenberg, Königshütter Park und Uhlandviertel.
Die Behandlung des Taxistand-Antrages ist eigentlich eine Satire: Anträge werden im Einklang mit § 2 der Geschäftsordnung des Rates spätestens sieben Tage vor Sitzungsbeginn eingereicht. Sie sind somit im Verwaltungssystem allgemein sichtbar. Ferner werden eigene Anträge üblicherweise den anderen Fraktionen und Gruppen mitgeteilt. Um der Peinlichkeit des selbst auferlegten Zwanges zur Ablehnung eines jeden AfD-Antrages entgehen, wurden die Servicebetriebe Oberhausen (SBO) angewiesen, für Abhilfe zu sorgen.
Mit der Aufstellung von zwei Schildern vor der Sitzung genügte man dem AfD-Antrag, ohne ihm zustimmen zu müssen. Peppone Motschull läßt grüßen!
Die Ablehnung der beiden übrigen Anträge tat niemandem weh, weshalb man hier den direkten Weg des Niederstimmens einschlug.
Anhang: Informationen zur Partnerstadt Tychy.
Taxistand an der Paul-Reusch-Straße…
… das Resultat eines AfD-Antrages?
Ein Park ohne Namen…
… weil der Antrag von der falschen Partei kam?
Kein Hinweisschild „Landschaftsschutzgebiet“ …
… vielleicht weil das Geld fehlte?
Anhang:
Offizielle Informationen zur Partnerstadt Tychy.
Tychy liegt 20 Km südlich von Kattowitz, beherbergt die älteste polnische Bierbrauerei (seit 1629) und verzeichnete dank sozialistischer Wohnungsbauprogramme ab 1950 ein starkes Bevölkerungswachstum bis auf 132500 Einwohner im Jahre 2006.
Seit 1526 Bestandteil von Österreichisch-Schlesien, wurde die Stadt im Jahre 1742 preußisch und damit von 1871 bis 1918 Teil des Deutschen Reiches. Danach fiel die Stadt an Polen und gehörte von 1939 bis 1945 wieder zum Deutschen Reich. Sie erlitt nur minimale Kriegsschäden (aus: Wikipedia; vgl. unten). Aktuell ist die Stadt wirtschaftlich durch Brauereien und die Autoindustrie geprägt.
Seit dem 17. 2. 2020 ist Tychy die Partnerstadt von Oberhausen. Sie wird auf Seite der Stadtverwaltung wie folgt vorgestellt:
„Die älteste polnische Brauerei Tyskie hat hier seit 1629 ihren Sitz. Wirtschaftlich ist Tychy breit gefächert aufgestellt (Steinkohle, Papier, Baustoffe, Nahrungsmittel, Maschinenbau, Automobilbau, Blumenmesse) und hat eine sehr lebendige Kultur- und Sportlandschaft. Tychy liegt nur 15 Kilometer von Auschwitz, so dass auch ein wichtiger Aspekt der deutsch-polnischen Geschichte Teil der städtepartnerschaftlichen Beziehungen sein wird.“
Anläßlich der Begründung der Städtepartnerschaft am 17. 2. 2020 führte Oberbürgermeister Schranz in seiner Rede u. a. aus:
„In seiner Rede erinnerte Schranz an die vielen Polen, die ab 1870 ins Ruhrgebiet kamen und den Aufschwung im Bergbau und in der Schwerindustrie ermöglichten. ‚Sie sind Teil unserer gemeinsamen Identität geworden.‘ Zur deutsch-polnischen Geschichte gehöre aber auch der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939, das nur wenige Kilometer von Tychy entfernt errichtete Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und die Millionen ermordeter Menschen, allen voran der jüdischen Bevölkerung.
‚Der deutsche Überfall und die nachfolgende Besetzung haben unzähliges Leid über Polen gebracht. Kein Land war dem Terror des NS-Besatzungsregimes länger ausgesetzt als Polen.‘ Umso dankbarer könne man sein, dass seit dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs zwischen vielen Städten in Europa Partnerschaften aufgebaut worden seien, als Zeichen der Versöhnung, um die Verständigung und das friedliche Miteinander zwischen den Völkern zu fördern sowie das Zusammenwachsen Europas zu unterstützen. ‚Und diese Ziele sind heute wieder aktueller denn je.‘“
Einige Informationen, die fehlen:
Tichau, um 1900 eine Landgemeinde des Kreises Pleß mit 6000 Einwohnern, einer Drainröhrenfabrik, Zellulosefabrik, Brauerei und Steinkohlengrube.
Bei der Volkszählung 1910 gaben von 122600 Einwohnern des Kreises 86% Polnisch bzw. Oberschlesisch und 13,4% Deutsch als Muttersprache an. 90,6% waren katholischer Konfession.
Bei der Volksabstimmung im März 1921 votierten 74,1% für den Anschluß an Polen. Zwischen Februar 1920 und Juli 1922 war das Abstimmungsgebiet von französischen, britischen und italienischen Truppen besetzt.
Ein Film:
„Hier, wo wir uns begegnen“ – so lautet der Titel eines beeindruckenden Films, der niemanden belehrt, niemanden bevormundet, niemanden manipuliert. Ganz normale Leute erzählen über „ihr“ Schlesien – auf deutsch, polnisch, oberschlesisch.
So verschieden wie die Sprachen, so verschieden sind die Perspektiven. Allen gemeinsam ist die Liebe zu einem Land, das wie kaum ein anderes in Europa verwüstet wurde. Die materiellen Kriegsschäden waren gering, aber die kulturellen Verwüstungen gerade nach dem Kriege haben tief verborgene Traumata hinterlassen. Und das bei übrig gebliebenen Deutschen und Schlesiern wie auch bei zugewanderten Neusiedlern, die oft ihrerseits aus Ostpolen vertrieben worden waren.
Die Stärken des Filmes liegen darin, daß nur Fragen gestellt werden, die keine bestimmten Antworten provozieren sollen. Es ist die Authentizität der Antworten, die überzeugt. Eine der überraschendsten Momente bilden jene Aufnahmen, in den denen Schüler ihre Fragen zur schlesischen Geschichte stellen, die im Unterricht ausgeblendet werden.
Der Link: Hier, wo wir uns begegnen!