Die Tagesordnung des Sozialausschusses war wenig spektakulär und eigentlich Routine. Dennoch gibt es einige interessante Dinge zu berichten. Drei Aspekte stellen wir hier vor. Von E. Noldus.
Der Text als pdf-Datei: 20220307b_Sozialausschuss
Rückwirkungen des Ukraine-Krieges
Zu Sitzungsbeginn wurde auf Vorschlag der Ausschußvorsitzenden Bongers (SPD) über die aktuellen Rückwirkungen des Krieges in der Ukraine auf Oberhausen gesprochen. Dazu hielt der Sozialdezernent Motschull (SPD) einen kurzen Vortrag.
Der Dezernent begann mit der Mitteilung, daß sich augenblicklich geschätzt 680.000 Ukrainer auf der Flucht befinden. Die EU rechnet mit insgesamt 5 bis 7 Mio. Flüchtlingen. Am 3. März werde die EU die sog. „Massenzustromrichtlinie 2003“ aktivieren. Das bedeutet u.a. eine Verkürzung der Asylverfahren, schnellere Abwicklung, schnellerer Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Sozialbetreuung usw.
Weiter: Man habe das Gefühl, eine Krise ebbt ab, da haben wir schon eine neue. Welche rechtlichen Möglichkeiten gebe es bzw. wie ist der Status derjenigen, die mit Sicherheit zu uns kommen werden? Die Aufnahme der Geflüchteten werde nach der „Massenzustromrichtlinie“ erfolgen; mithin bedeutet das einen gesicherten Aufenthaltsstatus, Krankenversicherung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Die Behandlung nach der „Richtlinie“ erleichtere die Aufnahme der Geflüchteten.
Man diskutiere in den Verwaltungsspitzen derzeit die Frage, ob man diese Personengruppe direkt in das SGB II übernehmen soll anstatt das Asylbewerberleistungsgesetz anzuwenden. Das hätte eine wesentliche Erleichterung in den Verfahrensabläufen zur Folge. Innerhalb des Sozialdezernates der Stadt sei eine Krisenstabsstelle gebildet worden, die sich jeden Mittwoch trifft. Zur Zeit versuche die Stadtverwaltung, den freien Wohnraum festzustellen unter Einschluß der Hotelkapazitäten.
Die Verteilung erfolgt nach dem Königsteiner Schlüssel. Die NRW-Landeseinrichtungen können 4000 Personen aufnehmen und von dort aus erfolgt die Verteilung an die Kommunen.
Herr F. Bohnes (Bereichsleiter Soziales) kann keine belastbaren Zahlen nennen. Es handele sich vielmehr um dynamische Prozesse; aber das sei man ja gewohnt. Aktuell stünden 250 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften zur Verfügung. Man erwarte überwiegend Frauen und Kinder.
Herr Motschull fährt fort: Es hat Einzelfälle gegeben, wo Personen an die polnische Grenze gefahren seien und von dort Leute nach Oberhausen gebracht haben. Er, Herr Motschull, bitte eindringlich davon Abstand zu nehmen, mit Bussen an die polnische Grenze zu fahren und dort Leute abzuholen. Dadurch habe man es aus Sicht der Verwaltung schwieriger, einen Überblick zu erlangen und es sei auch schwieriger, die Leute organisiert aufzunehmen.
Der Beigeordnete Schmidt (Dezernat 3) ergänzt kurz, daß auch Kindestageseinrichtungen und Schulen darauf vorbereitet werden, Kinder aufzunehmen.
Auf die Frage eines Ausschußmitgliedes, was Oberhausen denn wohl zu erwarten hätte bei einer prognostizierten Gesamtzahl von 4 Millionen Flüchtlingen, erklärt Herr Bohnes:
Man orientiere sich an den Aussagen des Landes, wonach die Masse der Flüchtlinge in Osteuropa bleiben werde. In Oberhausen lebten etwa 400 Ukrainer. Daher sei kein großer Zustrom aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen zu erwarten.
Herr Motschull verweist auf die Jahre 2015 und 2016 und meint, damals habe man eine größere Zahl in kürzerer Zeit bewältigen müssen und zudem habe sich der Zustrom auf Westeuropa konzentriert.
Herr Telli (SPD) bringt das Thema „Spenden“ zur Sprache. Er betont, man brauche keine Sachspenden, sondern Bargeld. Damit könne man in Polen („vor Ort“) Sachen einkaufen. Das sei viel besser, zumal Sachspenden auch eine Logistik erfordern.
Herr Motschull erwähnt eine Videokonferenz vom Vortage, an dem neben „dem Ministerium“ auch Vertreter des deutschen Städtetages teilgenommen hatten. Es ergebe sich klar die Forderung, keine Sachspenden vorzunehmen. Diese seien nicht zielführend. Die Situation könne sich ändern, wenn die Menschen hier lebten. Dann werden sich „die Einrichtungen“ entsprechend darum kümmern.
Abschließend faßt Herr Motschull die beiden wichtigsten Punkte noch einmal zusammen: Keine Abholaktionen mit Bussen und keine Sachspenden.
Möglichkeiten und Grenzen des Teilhabechancen-Gesetzes
In der regulären Tagesordnung folgte der Sachstandsbericht zur Umsetzung des Teilhabechancen-Gesetzes (M/17/1672-01).
Herr Telli (SPD) erläuterte, man möchte mit dem Teilhabechancen-Gesetz den Menschen eine langfristige Perspektive geben und sie in Arbeit bringen, anstatt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Er kritisierte, daß die Kommune eine Koordinierungsstelle brauche, welche sich speziell um Langzeitarbeitslose bemühe (in Verbindung mit der Arbeitsagentur). Die Stelle sei besetzt gewesen, jetzt nicht mehr. Man spreche davon, das Stellenprofil zu erneuern. Er bemängelte das und kündigte an, er werde ein Auge auf die Sache haben mit Sachstandsberichten.
Zu den Stellenprofilen für die Maßnahmen, welche den Langzeitarbeitslosen zugute kommen sollen, gehört auch „politische Bildung“, worauf er großen Wert gelegt habe. Herr Telli bemängelt das Fehlen der Möglichkeit, solche Leute an Schulen einzusetzen. Man möge doch Hausmeistertätigkeiten daraus finanzieren und diese Leute auch als Elternlotsen verwenden (Stichwort „Elterntaxis“ an Schulen).
Als ein Kernproblem wurde die von Herrn Telli aufgeworfene Problematik erkannt, wonach 600 Personen auf der Grundlage des Teilhabechancen-Gesetzes Arbeit finden könnten, es aber 5800 Langzeitarbeitslose in Oberhausen gebe.
Grundsätzlich bestand Einigkeit darin, daß die Langfristigkeit der Maßnahmen (Vertragsdauer 5 Jahre) positiv zu bewerten war (Herr Broß – CDU), aber seitens der Verwaltung wurde festgestellt:
Mehr als 600 Stellen seien nicht möglich. Diese müßten aus dem Haushalt der Stadt finanziert werden und dadurch komme die Begrenzung zustande. Einige Kennzahlen: Im letzten Jahr habe man 7 Mio. € (gleich 35% des Etats für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen) für Maßnahmen des Teilhabechancengesetzes aufgewendet.
Herr Güldenzopf (Dezernent für strategische Planung) erläuterte, innerhalb der Stadtverwaltung seien 50 Stellen mit den verschiedensten Profilen geschaffen worden. In Oberhausen gebe es 440 Langzeitarbeitslose weniger als letztes Jahr. Man komme da nicht viel weiter, da es sich um ein strukturelles Problem handelte.
Herr Güldenzopf erwähnte die „Arbeitsmarktkonferenz“ als Besprechungsgremium von Jobcenter, Stadtverwaltung und Agentur für Arbeit. Man bemühte sich, die von Herrn Telli angesprochene Koordinatorenstelle neu zu besetzen.
Herr Telli fragte, welche Gründe es gebe, warum die Stelle nicht wieder besetzt werden konnte.
Herr Güldenzopf merkte an, er könne wegen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten nicht sagen, warum Mitarbeiter gegangen seien. Auf eine Ausschreibung hin seien im Februar 2021 mehrere Bewerbungen eingegangen. Man habe aber erkennen können, daß das Stellenprofil schwierig sei bzw. nicht dem Standard entspreche. Man habe zwei interessante Bewerber gehabt, die aber aus unterschiedlichen Gründen abgesagt haben.
Nach diesen Antworten, die den Fragesteller sicher nicht weitergebracht hatten, schloß die Ausschußvorsitzende diesen Punkt der Tagesordnung.
„Joblinge“ – ein alternativer Ansatz?
Unerwartet interessante Perspektiven bot ein dröger CDU-Antrag zur „Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit“ (A/17/1550-01). Denn im Zusammenhang damit stellte Herr Karrasch aus Essen als Regionalleiter Ruhr das Projekt „Joblinge“ in einem ausführlichen Referat vor.
Herr Karrasch beginnt mit einem Überblick über die Geschichte von „Joblinge“. Das Projekt besteht seit inzwischen neun Jahren und ist in Essen, Gelsenkirchen und Recklinghausen aktiv. Seine Firma widme sich dem Übergangssystem. Dieses ist ein Zeitraum des Übergangs zwischen Schule und Studium / Beruf bei Jugendlichen, die Lücken in diesem Teil ihrer Biographie aufwiesen. Die Maßnahmen im Übergangszeitraum seien bei Jugendlichen unbeliebt und bei Unternehmen eher negativ konnotiert. Die Jugendlichen befänden sich eben in einer Warteschleife und hätten immer geringere Chancen, je länger sie in dem Übergangssystem verblieben.
„Joblinge“ unterstützt zur Zeit in Essen 220 Jugendliche bei ihren Bemühungen, einen Job oder eine Ausbildung zu finden. Insgesamt habe man in neun Jahren 1682 Jugendliche betreut. 70 Prozent haben eine Ausbildung angetreten. Davon seien nach einem halben Jahr noch 80 Prozent in der Ausbildung.
Das Selbstverständnis sei nicht eine Betreuung, sondern eine vom Unternehmen her gedachte Dienstleistung. „Joblinge“ sei ein Ansatz von mehreren, den allseits beklagten Mangel an Facharbeitern zu beheben. Er, Herr Karrasch, bemühe sich bei Firmen darum, die Bereitschaft zur Ausbildung von Jugendlichen zu erhöhen und diesen Firmen seine Kundschaft schmackhaft zu machen.
Herr Karrasch erläutert dann die Konzeption an einem praktischen Beispiel: Die Arbeitsagentur schreibe 80 Jugendliche an, die zu einem Termin bei „Joblinge“ eingeladen werden. Von diesen nehmen 45 den Termin tatsächlich wahr. Bei diesem Termin stellt sich die Firma in allgemeiner Form vor. Als Folge davon melden 35 ihr Interesse an. Diese werden dann zu einem Firmenprojekt eingeladen. Das könne beispielsweise eine mehrtägige Probearbeit sein. Dieser Einladung wiederum würden 25 Folge leisten; und davon werden diejenigen genommen, die einen guten Eindruck hinterlassen haben.
Wichtig sei, den Jugendlichen zu vermitteln, daß sie etwas leisten können. Man fordere etwas und sage ihnen dann, daß sie etwas geleistet hätten. Richtig angewandt, würde das die Motivation steigern und gute Resultate bringen. „Wir geben den Jugendlichen die Möglichkeit, Kompetenzen zu zeigen, die die Unternehmen brauchen.“
Zu dieser Konzeption gibt es mehrere Nachfragen seitens der Herren Büschken (BOB), Telli (SPD) und Blanke (GRÜNE).
Herr Karrasch erläutert das System der Mentoren. Diese seien ehrenamtlich tätig und führten eine Einzelbetreuung durch. Die Wirksamkeit der Mentoren sei dadurch gegeben, daß sie Vorbilder seien: Arbeit, Wohnen, Urlaub; das seien die Dinge, die sich auch die Jugendlichen wünschten, und die Mentoren lebten ihnen vor, wie man durch Arbeiten anständig wohnen und in Urlaub fahren könne.
Eine Konkurrenz mit anderen Trägern (in Oberhausen ZAQ, Kurbel usw.) gebe es nicht, könne er aus Essen berichten. Er habe konkret wenig Berührungspunkte.
Die „freie Finanzierung“ erfolge nach „16f“; daneben bringe „Joblinge“ auch Spendengelder auf. Man nehme nur Jugendliche aus dem SGB-II-Bereich und solche mit „multiplen Belastungen“.
Herr Telli (SPD) betont seinen politisch differenzierten Ansatz und ordnet „Joblinge“ eher in den Bereich der Wirtschaftsförderung ein. Im Sozialbereich sehe er „Joblinge“ eher nicht. Das Projekt solle daher nicht auf den Fördertopf im Rahmen von „16f“ zugreifen, sondern sei im Bereich der Wirtschaftsförderung einzuordnen.
Herr Broß (CDU) merkt an, daß Oberhausen im Vergleich zu den strukturell vergleichbaren Nachbarkommunen eine höhere Jugendarbeitslosigkeit habe. Man müsse jede Möglichkeit nutzen, den Anteil zu senken.
Herr Blanke (GRÜNE) spricht besonders den Aspekt an, den Herr Karrasch in seiner Darstellung des Selbstverständnisses gebracht habe: Den Unternehmenshintergrund (mit Sponsoren, Verbindungen usw.) und den Fachkräftemangel. Herr Blanke stört sich daran, daß die Jugendlichen ausgewählt werden; also ein Verfahren durchlaufen müssen, bevor sie in „Joblinge“ aufgenommen werden. Das sei politisch schwer zu verdauen. Er lehne daher für seine Person das Prinzip der Auswahl als negativ ab.
Herr Büschken (BOB) kritisiert, „Joblinge“ dränge die anderen Einrichtungen ins Abseits. Durch die Auswahlverfahren sei es logisch, daß Herr Karrasch gute Erfolgsquoten vorweisen könne. Herr Büschken schlägt vor, daß „Joblinge“ verpflichtet werde, eine Quote schwer vermittelbarer Jugendliche aufzunehmen – gewissermaßen als Entlastung für die anderen.
Die Vorsitzende Frau Bongers (SPD) meldet sich „als Ausschußmitglied“ zu Worte und betont mit einigen allgemeinen Wendungen, es sei politischer Konsens, daß man sich um alle kümmere [mithin lehnt sie das Prinzip der Auswahl implizit ab].
Befragt nach den Kosten, gibt Herr Karrasch „5000 bis 6000 €“ an ohne einen Hinweis auf den Zeitraum, für welchen das Geld fällig werde. Ein Drittel trage „Joblinge“. Um wirtschaftlich arbeiten zu können, benötige man an dem Standort Oberhausen etwa 50 bis 60 Jugendliche.
Frau Mumm (AfD) merkt an, Herr Karrasch habe davon gesprochen, daß auch Jugendliche mit Drogenerfahrungen an dem Projekt teilnehmen könnten. Sie frage sich, wie man Drogensüchtige ohne Schulabschluß zu Facharbeitern ausbilden könne. Herr Karrasch erklärt, die Zielgruppe seien Jugendliche mit Schulabschluß.
Herr Telli (SPD) meldet sich erneut zu Wort und lobt das Engagement von Herrn Karrasch und auch die Konzeption, die an sich sehr gut sei. Er schlage allerdings vor, „Joblinge“ im Bereich der Wirtschaftsförderung anzusiedeln. Dann mache die Arbeit von „Joblinge“ Sinn, aber nicht im sozialen Bereich.
Herr Broß (CDU) möchte, daß die Erfahrungen aus anderen Kommunen herangezogen werden.
Frau Schnettler (FDP) findet „Joblinge“ gut und möchte der CDU zustimmen.
Nach einer weiteren Wortmeldungen wurde dieser Tagesordnungspunkt beendet. Wir sind ziemlich sicher, daß dieser alternative Ansatz zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit wesentlich sinnvoller zu diskutieren ist als ein bürokratisch aufgeblähtes und Unsummen verschlingendes „Talent Kolleg“ mit einer „das Lernen-Lernen-Ideologie“.