Offenbar hat Oberhausens Presse kein Interesse an der angekündigten Schließung von Vallourec Mülheim. Berichte über die Qweendom-Theaterpremiere und Schuldirektoren, die eine halbe Seite lang über Bio-Kaffee philosophieren, sind natürlich wichtiger als die Sorgen der Oberhausener, die um ihre Arbeitsplätze in Mülheim kämpfen.Von E. Noldus.

Der Text als pdf-Datei: 20220528b_MH_Ratssitzung_20220524


Vorbemerkung: Der Berichterstatter war eigens direkt aus dem Kulturausschuß ins Mülheimer Rathaus gefahren, um als Zuschauer an der Ratssitzung teilzunehmen. Die nachfolgenden Notizen versuchen so gut wie möglich den Verlauf der Sitzung wiederzugeben und verzichten auf Bewertungen. Zum besseren Verständnis sind Fußnoten eingefügt.


Tagesordnung:

Ö 1 Sitzungseröffnung und Aussprache zur Tagesordnung der öffentlichen Sitzung.

Ö 2 Satzung der Stadt Mülheim an der Ruhr über ein besonderes Vorkaufsrecht gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB für den Bereich Dümpten West in Mülheim an der Ruhr (V 22/0306-01).

Ö 2.1 Antrag zum TOP „Angekündigte Schließung der Werke von Vallourec Deutschland – Unterstützung für die Beschäftigten und ihre Familien!“ Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und SPD (A 22/0407-01).

Ö 2.2 Angekündigte Schließung der Werke von Vallourec-Deutschland Vorschlag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SPD (A 22/0399-01): Einladung eines Betriebratsmitglieds von Vallourec zur Ratssitzung.

Die Sitzung.

Oberbürgermeister Buchholz eröffnet die Sitzung und stellt die Zahl der Anwesenden fest: CDU 13, GRÜNE 12, SPD 9, AfD 3, MBI 2, FDP 3, Partei 2, fraktionslos 1. Danach erläutert er die Tagesordnung und beginnt mit einer persönlichen Ansprache:

Mit Vallourec schließt der drittgrößte Arbeitgeber Mülheims. Diese Entscheidung hat große Betroffenheit ausgelöst, als sie am 18. Mai bekannt gemacht wurde. Seit November 2021, als Vallourec den Verkauf ankündigte, habe man seine Hoffnungen auf den Fortbestand des Unternehmens gesetzt.

Danach zitiert der Oberbürgermeister ausführlich aus der Selbstdarstellung von V&M: Deutschland als wichtiger Standort, hohe Motivation der Belegschaft, Qualität usw. usw. Der Oberbürgermeister hat die Hoffnung, daß die Firma ihrem Selbstanspruch gerecht wird. Aber bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt.

Er hält engen Kontakt mit seinem Kollegen aus Düsseldorf. Die Stadt ist durch die Schließung des größeren Standortes Rath noch stärker betroffen. Von dort führt man Gespräche mit Wirtschaftsminister Habeck. Er – der OB – hofft auf Annahme der Hilfen durch V&M; d.h. Hilfen für die Weiterführung der Produktion, nicht Hilfen für die Abwicklung.1 Letzten Samstag hat er einen Anruf von Habeck erhalten unter seiner Privatnummer. Es gehe für ihn, den OB, nicht darum, wie der Verkaufsprozeß organisiert wird, sondern was man tun könne, um Arbeitsplätze zu halten.

Auch spricht er mit seinem Kollegen aus Tours über die Situation. Da Mülheim Vormaterial an französische Werke liefert, sieht man auch dort Probleme und befürchtet den Abbau von 400 Arbeitsplätzen. An diesem Beispiel sieht man, wie eng man über die Grenzen hinweg zusammenhängt und man arbeitet gemeinsam daran, um eine Lösung zu finden.2

Danach sprechen die Fraktionen.

Herr Püll (1. Bürgermeister, CDU) betont, es werde langsam Zeit, daß V&M seiner Selbstdarstellung Taten folgen läßt. NRW-Arbeitsminister Laumann hat das Thema Transfergesellschaft angesprochen und also seine Hilfe angeboten. Es ist ein zartes Pflänzchen der Hoffnung und ein Beispiel, wie die Region zusammenhalten kann. Der Rat soll ein Zeichen der Zuversicht und der Geschlossenheit senden. Er richte „die herzliche Bitte an alle, an einem Strang zu ziehen, die Signale der Hoffnung sind da.“

Herr Deege (SPD) zitiert den prägnantesten Satz aus dem Artikel der Rheinischen Post: „Mit dem Röhrenwerk stirbt das letzte Stück Mannesmann.“ Es fallen insgesamt 2400 Arbeitsplätze weg. Dabei seien das schon historisch wenige Arbeitsplätze. Herr Ellerbeck [?!] hat als eine durchschnittliche Betriebszugehörigkeit 20 Jahre genannt. In seinem – Herrn Deeges – Freundes- und Bekanntenkreis gebe es Werksangehörige der 2., ja zum Teil sogar der 3. Generation. Sein Großvater habe bereits bei Mannesmann gearbeitet. Das sind nicht irgendwelche Arbeitsplätze, das sind hochwertige Arbeitsplätze und gut ausgebildete Arbeitskräfte.

Das Deutschlandgeschäft ist laut Vallourec defizitär. Aber warum werden hochqualifizierte Arbeitsplätze verlagert? Öl und Gas haben noch Zukunft, wir arbeiten für diesen Markt. Die Streamline-Programme ab 2010 haben Arbeitsplätze gekostet. Die Verlagerung von Betriebsteilen und der Abbau seien geplant gewesen, um V&M defizitär zu machen.

V&M sieht insgesamt den Abbau von 2400 Arbeitsplätzen als gutes Signal für die Investoren! Wir hingegen stehen für die Arbeitsplätze ein, wir stehen für die Menschen ein. Hier geht es nicht um parteitaktische Spielchen, wir müssen zusammenhalten. Die wichtigsten Fragen sind: Wie sichern wir Arbeitsplätze, wie sichern wir Flächen?

Herr Maue (GRÜNE) erzählt, er habe von einem Mitarbeiter eine Nachricht erhalten. Was könnte denn die Politik tun? „Wir können die Entscheidung der Konzernführung nicht beeinflussen.“ Die Politik ist eine Projektionsfläche für die Menschen. „Wir müssen gemeinsam ins dunkle Tal schauen!“

„Alle gemeinsam müssen überlegen, was kann Politik tun. Wir können noch etwas bewegen für die Menschen. Wir stehen an der Seite der Menschen.“

Herr Tilgner (CDU) beschwört die Solidarität der Politik mit den Mitarbeitern. V&M möchte neue Geschäftsfelder erschließen? „Ich sehe die neuen Geschäftsfelder nicht.“ Hingegen benötige man Rohre für die Weiterentwicklung der Wasserstofftechnologie (Gas, Ammoniak). Man müsse sich wundern, daß Vallourec sich nicht stärker in dieses Geschäftsfeld eingebracht hat. Man müsse im Bundesministerium [für Wirtschaft?!] stärker auf diese Möglichkeiten hinweisen und entsprechend einwirken.

Danach erläutert der Beigeordnete Blasch (technisches Dezernat) detailliert die mit dem beantragten Vorkaufsrecht (V 22 306-01) verbundenen Ziele der Stadt Mülheim. Grob gesagt, soll die Vorlage weiterhin eine industrielle Nutzung erlauben. Es gebe vielleicht da und dort bessere Möglichkeiten für eine andere Nutzung, ohne zum jetzigen Zeitpunkt Genaueres sagen zu können. Auf jeden Fall soll die Stadt hinsichtlich der weiteren Bebauungsplanung auch nicht zu sehr gebunden werden durch diesen Beschluß.

Herr Deege (SPD) erklärt, man beabsichtige, mit dem Vorkaufsrecht den Industriestandort Mülheim zu erhalten. „An einer Ansiedlung von Amazon haben wir kein Interesse; wir müssen das Heft in der Hand halten.“ Es gehe darum, den Standort mit qualifizierten Arbeitsplätzen zu sichern.

Mit Blick auf den Oberbürgermeister habe er den Eindruck, daß Düsseldorf mit Wirtschaftsminister Habeck mehr spricht und als Folge davon Mülheim über die Klinge springen läßt.

Der OB Betont die gute Zusammenarbeit mit Düsseldorfs Oberbürgermeister Dr. Keller. Dieser repräsentiert den größeren Standort und deshalb hat man sich abgesprochen, daß Dr. Keller mit Habeck telephoniert. Danach informiert er – Herr Keller – ihn über die Gespräche.

Es stehe fest, daß Mülheim im direkten Vergleich der Standort sei, der erhaltenswerter sei als Düsseldorf, da hier in Mülheim die Produktpalette auf dem Markt stärker gefragt sei. Es gebe am 8. Juni eine Zusammenkunft, bei der geklärt wird, welche Hilfen aus dem Bundesministerium kommen.

Man sei sich einig mit dem Partner aus Tours und suche gemeinsam nach Lösungen. Man arbeite in Europa gemeinsam daran, daß die Produktion nicht nach Brasilien geht.

Frau Küsters (CDU) spricht über einen Teilaspekt der Debatte im Planungsausschuß.

Herr von Wrese (AfD) merkt an, man habe hier viel Pathos und salbungsvolle Worte gehört. Die AfD-Fraktion werde die Vorlage zum Vorkaufsrecht unterstützen. Man müsse aber darauf hinweisen, daß ab der Regierung Schröder-Fischer die Politik es Vallourec leicht gemacht habt, den Abgang nach Brasilien zu vollziehen. Insofern ist die SPD-Haltung zynisch, da deren Politik mitverantwortlich für den Weggang des Unternehmens sei.

Frau Wietelmann (SPD) empört sich über die Stellungnahme der AfD. Auch sei es notwendig, nach vorne zu schauen, als mit fatalem Blick in die Vergangenheit zu blicken und dort nach Fehlern zu suchen. Man benötige hier mehr Hilfe und Solidarität mit den Arbeitnehmern.

Herr von Wrese merkt an, die SPD wolle die Dinge aus der Vergangenheit ausblenden. In einem Punkt sei er bewußt falsch verstanden worden. Natürlich sei die AfD-Fraktion mit den Arbeitnehmern solidarisch. Nun müßten allerdings den salbungsvollen Worten auch Taten folgen. Aber SPD und GRÜNE seien für die Entwicklung verantwortlich.

Der Oberbürgermeister wirft ein, man befinde sich hier in der Kommunalpolitik und nicht in der Bundespolitik.

Der nächste Redner verweist auf die Beschlußvorlage zum Vorkaufsrecht und darin auf das Beispiel Bochum. Dort habe man mit Opel und Nokia ähnliche Erfahrungen gemacht, den Firmen sei es immer schlechter gegangen. Aber man habe dann es geschafft, neue Perspektiven zu entwickeln. Das wolle diese Vorlage auch. Momentan sei es allerdings noch das Ziel, die Firmenleitung davon zu überzeugen, V&M zu erhalten.

Herr Beitz (FDP) erklärt, er sei in dritter Genration bei Mannesmann. Es gebe keinen guten Markt für nahtlose Rohre. Trotz grundsätzlicher Bedenken wolle man der Vorlage zustimmen. Der Staat kann kein guter Unternehmer sein. „Wir müssen diese großflächigen Lager verhindern, wo drei Leute auf 5.000 Quadratmetern arbeiten.“

Ein weiterer Redner arbeitet sich an dem Redebeitrag des AfD-Vertreters ab. Die wichtige Frage sei doch nicht, was die Bundesregierung im Jahre 2000 gemacht hat sondern die, wie man die Produktion halten kann.

Der Oberbürgermeister: Das Ziel ist es, auf jeden Fall zu verhindern, daß Vallourec das Grundstück zu Geld macht, die Patente mitnimmt und in Brasilien ein neues Werk baut.

Danach läßt der Oberbürgermeister über die Vorlage V 22/306-01 (Vorkaufsrecht) abstimmen, die einstimmig angenommen wird.

Der Oberbürgermeister stellt zum Tagesordnungspunkt 2.2 fest, daß die Vallourec-Geschäftsführung aus Termingründen leider verhindert gewesen sei, an der Sitzung teilzunehmen. Der Betriebsrat hält sich zur Zeit in Frankreich auf. Das sei ein Zeichen, daß alle zusammenarbeiten, weil alles miteinander zusammenhängt.

Die Abstimmung über den Antrag A 22 407-01 ergibt die einstimmige Annahme. Danach schließt der OB die Sitzung.

1 Laut WAZ vom 21. 5. 2022 sieht der OB Perspektiven bei der Weiterentwicklung der deutschen Industrie im Kontext einer Wasserstoff-Strategie oder für CO2-Pipelines. „Der notwendige Umbau der Energiewirtschaft sollte nicht von Rohrzulieferungen aus dem Ausland, hergestellt unter kritischen Arbeitsbedingungen und vernachlässigten Umweltstandards, abhängen.“

2 Tour und Mülheim feierten das 60jährige Jubiläum ihrer Städteparrtnerschaft. Aus diesem Grunde hatte der OB Tours besucht. Allerdings standen laut Pressemeldungen aus Tours Gespräche über die primär kulturelle Zusammenarbeit im Jugendbereich der beiden Städte auf dem Programm; siehe https://www.lanouvellerepublique.fr/tours/tours-muelheim-60-ans-de-jumelage In der WAZ vom 21. 5. 2022 hatte der OB erklärt, er habe seinen Amtskollegen in Tours gebeten, seine Beziehungen zu Staatspräsident Macron zu nutzen. Produktionsstandort ist Tours allerdings nicht.