Am 5. 3. 2024 fand im Ratssaal eine Diskussionsveranstaltung „Eine Frage des Vertrauens“ statt. Wir versuchen, den Gedankengängen der beiden Referenten so gut wie möglich zu folgen. Von E. Noldus.
Der Text als pdf-Datei: 20240307b_Vertrauen_20240305_Vortrag
Die Veranstaltung.
Am 5. März gegen 18.30 Uhr begann die Veranstaltung „Eine Frage des Vertrauens“. Der Ratssaal war voll besetzt; das Publikum bestand in der Mehrzahl aus Stadtverordneten. Dazu kam eine unbekannte Anzahl an Besuchern auf der Tribüne. Der Oberbürgermeister eröffnete die Veranstaltung mit einer geschliffenen Rede zum Thema.
Für uns ist dessen Rede uninteressant, da er die inzwischen als Correctiv-Lügen enttarnten Behauptungen über das „Geheimtreffen von Potsdam“ – die juristische Aufarbeitung etwa in Form der Klage des Staatsrechtlers Vosgerau steht erst am Anfang – zum Gegenstand einer Rede auf einer Demonstration auf dem Friedensplatz am 24. Januar gemacht hat und auch in dieser Veranstaltung darauf Bezug nahm.
Über Sinn und Zweck der Veranstaltung informierte die Einladung wie folgt:
„Vertrauen ist für ein demokratisches Miteinander und den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft genauso unentbehrlich wie ganz grundsätzlich für ein gesundes Leben. Vertrauen zu haben scheint im Angesicht immer komplexerer gesellschaftlicher Herausforderungen jedoch schwerer erreichbar. Viele Menschen fühlen sich immer stärkeren Gefühlen von Unsicherheit ausgesetzt, das Misstrauen wächst – gegenüber der Politik, gegenüber den Medien, gegenüber unserem Rechtsstaat.
Wie läßt sich Vertrauen in den Staat, die Politik und ihre Repräsentantinnen und Repräsentanten stärken? Wie können wir unsere Demokratie und ihre zentralen Werte gegen Angriffe und Zersetzung schützen?“
Vertrauen als individuelles Moment.
Martin Schweer, geboren 1964, schloß sein Studium an der Ruhr-Universität Bochum (Psychologie, Pädagogik, Soziologie) 1988 ab und habilitierte 1995 mit einer Arbeit über „Vertrauen in der pädagogischen Beziehung“. Seit 1998 ist er an leitender Stelle in verschiedenen Instituten der Universität Vechta tätig gewesen; u.a. als Leiter des dortigen „Zentrums für Vertrauensforschung“ (ZfV).
Herr Prof. Schweer stellt sich als gebürtiger Oberhausener vor. Seit 25 Jahren möchte er den Menschen das Thema Vertrauen nahebringen. Der Grund dafür ist, daß Vertrauen als Wert im Zusammenleben von zentraler Wichtigkeit sei.
Eingangs bringt er ein Zitat von Helmut Schmidt: Vertrauen kann man nur herstellen, indem man sich anständig, ehrlich und durchsichtig (berechenbar) verhält. Es gehe um das Vertrauen der Menschen: „Sei Beispiel und Vorbild.“
Vertrauen sei notwendig für
- das demokratische Miteinander;
- für ein zufriedenes Leben;
- für den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Immer und überall habe man seit jeher die Frage vor sich: Welche Bedeutung habe Vertrauen; wie kann man es stärken und entwickeln. Schweer bringt ein Beispiel: Im alltäglichen Straßenverkehr vertraue man darauf, daß man bei Grün fahren könne, da die anderen bei Rot stehen bleiben. Man wisse zwar, daß das in der Praxis nicht immer der Fall sei, aber man setze Vertrauen darin, daß andere Teilnehmer sich an die Regeln hielten und berechenbar seien. Es gebe täglich „unzählige Situationen“, in denen der Mensch ohne ein gewisses Maß an Vertrauen nicht handlungsfähig wäre.
Ein Grundzug der Zeit sei die immer größer werdende Komplexität der Welt, die durch folgende Faktoren gekennzeichnet ist: Kriege, Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Vielfalt an individuellen Lebensweisen, sexuelle Vielfalt. Alle diese Dinge machten die Welt undurchschaubarer und seien der Grund für einen allgemeinen Schwund an Vertrauen.
Vertrauen ist nach Schweer „die subjektive Sicherheit, sich in die Hand anderer Personen oder auch Institutionen begeben zu können“. Und vom Individuum aus betrachtet:
„Wir schaffen subjektiv Kontrolle, obwohl diese objektiv nicht gegeben ist.“
Zur Begrifflichkeit ist festzustellen: Vertrauen ist nicht gleich Vertrauen. Handlungsleitend sei der eigene Blick auf die Welt. Die Quintessenz daraus: „Jede Weltsicht ist einmalig.“
Ähnliche Erfahrungen bedeutet, daß sich die Sichtweisen auf die Welt ähneln und damit seien gute Voraussetzungen für Vertrauen gegeben. Danach erläutert Prof. Schweer insgesamt acht von ihm angeführte psychologische Momente oder Faktoren, die positiv von Vertrauen beeinflußt werden. Alle haben einen Bezug zum Individuum bzw. zu dessen Persönlichkeit. Vertrauen hänge daher immer auch mit Selbstvertrauen zusammen.
Ergänzend stellt er fest, daß Vertrauen nicht blind sei; vielmehr schließe Vertrauen die Beachtung von Warnsignalen ein. In einem kleinen Exkurs geht er auf den Begriff des „konstruktiven Mißtrauensvotums“ im Grundgesetz ein; den Begriff „Vertrauen“ werde man dort nicht finden. Er stellt fest, daß Mißtrauen niemals konstruktiv sein könne, sondern eigenes Erleben von Unsicherheit darstelle.
Vertrauensmerkmale seien Wertschätzung, Respekt, Authentizität, Gerechtigkeit.
Eine Voraussetzung für „Vertrauen“ seien grundlegende humanistische Haltungen; kurz ausgedrückt. „Mensch sein“.
Umgekehrt dürfe Vertrauen niemals strategisch ausgerichtet sein, womit ungefähr gemeint ist, Vertrauen dürfe niemals Mittel zum Zweck sein.
Aus der Sicht des Individuums baue Vertrauen auf Erfahrungen auf; dabei sei der erste Eindruck von großer Wichtigkeit; dieser erste Eindruck sei ein wichtiger Wahrnehmungsfilter. Er habe selbst Untersuchungen durchgeführt, indem er Studenten zu ihren ersten Eindrücken über einen bestimmten, ihnen noch nicht bekannten Dozenten (ihrer Veranstaltung) befragt habe. Zu Semesterende sei die Befragung erneut durchgeführt worden. Man habe immer wieder festgestellt, daß sich die ersten Eindrücke, ob positiv oder negativ, als sehr stabil erweisen und überwiegend in der zweiten Befragung bestätigt wurden.
Grundsätzlich würden schlechte Erfahrungen (beispielsweise in der Kindheit) dazu führen, daß Menschen nur schwer Vertrauen gegenüber Anderen entwickeln könnten. Zentrale Bedingungen von Vertrauen seien:
- Vertrauen beruhe auf dem Erleben von Gegenseitigkeit;
- Vertrauen erfordert stetiges Bemühen;
- Vertrauen kommt zu Fuß und geht zu Pferd.
Letzteres beschreibt die allgemeine Erfahrung, daß Vertrauen nur schwer zu erwerben sei, aber leichter zu verspielen.
Vertrauen in der Politik.
Ganz allgemein könne man sagen, daß Vertrauen den Grundstein für alles bilde. Die Politik brauche vertrauenswürdige Repräsentanten. Aber auch Parteien und Institutionen könnten Vertrauen erwerben, indem sie durch ihre gelebten Werte sichtbar werden.
Danach zieht Prof. Schweer einige Zahlen zum Thema „Vertrauen“ aus der aktuellen Bürgerbefragung in Oberhausen heran, um daraus einige allgemeine Schlußfolgerungen abzuleiten, die sich hier bestätigten:
Grundsätzlich gelte, daß die Menschen um so größeres Vertrauen hätten, je näher sich die Personen oder Institutionen ihrem persönlichen Lebensumfeld befinden. Man vertraue als Patient dem Arzt, als Sparer dem Bankier, man vertraue „seinem“ Oberbürgermeister, während das Vertrauen in Institutionen oder „weit entfernte Personen“ weitaus geringer ausgeprägt sei.
Abschließend zitiert Schweer den zweiten Gast des Abends, Norbert Lammert (CDU): Man müsse die Aufgaben so sorgfältig wie nur möglich erledigen, und auf diese Weise das Vertrauen in die Politik festigen.
Vertrauen als politisches Problem.
Norbert Lammert, Jahrgang 1948, CDU-Politiker, 1980 bis 2017 dem Bundestag angehörend, davon 2005 bis 2017 Präsident des Bundestages. Seit 2018 ist er Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. 1972 schloß er sein Studium als Diplom-Sozialwissenschaftler ab und promovierte 1975 an der Ruhr-Uni Bochum mit einer Arbeit über „Die Bedeutung regionaler und nichtregionaler Organisationsstrukturen im Willensbildungsprozess politischer Parteien auf unterer Organisationsebene.“
Zum Vortrag ist anzumerken, daß er im wesentlichen frei gehalten und routiniert abgespult wurde. In der Sprache und im Satzbau verständlich, fehlte im Vergleich zum Vortrag Schweers eine erkennbare Systematik. Der Wert lag in interessanten Einzelanmerkungen und Beobachtungen, die um das Thema „Vertrauen“ kreisten. Allerdings ging Lammert nicht darauf ein, wie man aus der Sicht des politischen Praktikers das politisch verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen könnte.
Lammert leitet seinen Vortrag mit dem Hinweis auf zwei Beobachtungen ein, die zueinander in einem gewissen Spannungsverhältnis stünden:
Erstens sei Deutschland eines der wenigen Länder der Welt mit einer demokratischen Verfassung und zum ersten Male in der deutschen Geschichte lebe man in Frieden mit all seinen Nachbarn.
Zweitens gebe es immer mehr Zweifel am Zustand „der inneren Verfassung unseres Gemeinwesens“.
Es stelle sich bei dem feststellbaren Verlust an Vertrauen die Frage: Was daran sei deutsch und was daran sei universell. Denn man könne eine Wechselwirkung feststellen: Es entwickele sich eine immer komplexere Welt und es herrsche immer weniger Vertrauen.
Er bringt daran anschließend ein Zitat von Thomas von Aquin: „Vertrauen ist die durch Erfahrung bekräftigte Hoffnung auf die Erfüllung von erwarteten Zuständen – unter der Voraussetzung des Vertrauens auf Gott.
Lammert fährt dann fort, daß die letzte Voraussetzung heute nicht mehr oder immer weniger gelte. Um dann die Bestandteile des Vertrauens – Erfahrung, Erwartung, Hoffnung – etwas näher zu erläutern. Thomas von Aquin habe mit diesen drei Elementen das Wesen von „Vertrauen“ sehr gut erkannt.
Der allgemein feststellbare Vertrauensverlust sei nicht nur im Bereich der Politik feststellbar. Vielmehr sei der Verlust in allen wesentlichen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens spürbar. Lammert nennt die Wirtschaft, Banken, Medien, Kunst und Kultur sowie die Kirchen. Es gebe, so sein Fazit, keinen größeren gesellschaftlichen Bereich, der keinen Vertrauensverlust erlebt.
Unter Bezugnahme auf Prof. Schweer, der jedes konstruktive Element im Mißtrauen verneine, erklärt Lammert, daß Mißtrauen in die Macht gewissermaßen ein konstitutives Merkmal der Demokratie darstelle, weil daraus ein gesunder Zweifel an angemessenem Gebrauch von Macht erwachse. In diesem Zusammenhang geht er auf die Funktion des „konstruktiven Mißtrauensvotums“ ein und wendet dieses ins Positive als „Begründung eines neuen Vertrauens“.
In der öffentlichen Debatte vermißt Lammert eine saubere Unterscheidung zwischen zwei wesentlichen Beobachtungen:
- Das Vertrauen in die Demokratie als Staatsform sei nach wie vor hoch. In allen Umfragen geben zwei Drittel bis drei Viertel der Befragten an, diese Staatsform sei die beste denkbare.
- Davon zu unterscheiden sei das Vertrauen in die handelnden Personen. Ende 2020, auf dem Höhepunkt der Corona-Krise, hätten 70 Prozent dem Kanzler vertraut, gegenwärtig seien es 20 Prozent. Dieser Verlust sei dramatisch.
Man müsse also sauber unterscheiden zwischen „Mißtrauen in die Demokratie als System“ und „Mißtrauen in das Funktionieren der Institutionen“. Indem man diese Unterscheidung treffe, lasse sich dieses Differenzieren als Zeichen eines gestiegenen Urteilsvermögens deuten.
Das Problem bestehe in der unterschiedlichen Wahrnehmung von Personen auf der einen und Institutionen auf der anderen Seite. Wenn etwa 8 oder 9 von 10 Personen in einer Institution unauffällig ihre Arbeit verrichteten, so würden sie nicht wahrgenommen. Aber eine einzige Person mit Fehlverhalten würde – durch die Konzentration der Medien auf das Ungewöhnliche und Besondere – öffentlich wahrgenommen werden und das Ansehen der ganzen Institution beschädigen. Das Grundproblem sei daher:
Wie läßt sich Vertrauen in die Person umsetzen als Vertrauen in die Institution?
Daran schließen sich einige Anmerkungen an, welche in die Feststellung münden, daß nicht nur Personen sterblich seien, sondern auch Systeme. Gegenwärtig blicke das Grundgesetz auf eine 75jährige Geschichte zurück. Das seien mehr Jahre als die drei Staatsformen Kaiserreich (1871 bis 1918), Weimarer Republik (1918 bis 1933) und NS-Regime (1933 bis 1945) zusammen aufbringen.
Er bzw. seine Generation erinnere sich noch gut an die Jahre 1989/90 und die in ganz Europa herrschende Euphorie. Die Demokratie habe sich als einzige Form für moderne, liberale, fortschrittliche usw. Staaten erwiesen. Damals sei man vielfach davon ausgegangen, daß die Demokratie als Staatsform sich endgültig allen anderen als überlegen erwiesen habe. Er erinnere, als berühmtestes Beispiel für diese Geisteshaltung, an Francis Fukuyamas „Das Ende der Geschichte“.
Heute müsse man feststellen, daß die Anzahl der „ernst zu nehmenden Demokratien“ in den letzten 30 Jahren zurückgegangen sei. Von 193 Staaten auf der Erde gebe es zwei Dutzend „ernst zu nehmende Demokratien“; das seien weniger als die EU Mitglieder habe.
Im Schlußteil des Vortrages konstatiert Lammert eine bedenkliche Entwicklung in letzter Zeit: Es herrsche zunehmend eine Art der Selbstermächtigung, die unter Beziehung auf die eigenen Vorstellungen die Demokratie für debattierungswürdig hielte.
Als ein wesentlicher Aspekt der Grundhaltung von Demokraten gelte die Bereitschaft, die selbst gesetzten Regeln für wichtiger zu nehmen als die Verfolgung der eigenen machtpolitischen Ziele.
Die Diskussion.
Die Gelegenheit, Fragen zu stellen, wurde sowohl von den Stadtverordneten als auch von den Besuchern ausgiebig genutzt. Prof. Schweer übernahm die Rolle des Moderators. Wir werden in einer zweiten Folge darauf zurückkommen.