Politik findet nicht nur in der Öffentlichkeit statt, wo es um die beste Schlagzeile geht. Die Ausübung der Macht erfolgt vielfach subtil und kaum wahrnehmbar. Von E. Noldus.

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Um die Entsendung von Ratsvertretern.

In den Tagesordnungspunkten 12 bis 17 der letzten Ratssitzung ging es um die Entsendung von Ratsvertretern in verschiedene Gremien.

Die ohne weitere Wortmeldungen einstimmig erfolgte Verabschiedung der Vorlage B/17/5730 in Punkt 12 der Tagesordnung „Bestellung von Vertreter/innen in den Gesellschafterversammlungen verschiedener Gesellschaften“ bildete die Grundlage, auf der nachfolgend die jeweiligen Personalentscheidungen getroffen wurden. Sie betraf die Entsendung von Vertretern der Verwaltung in die Gremien derjenigen städtischen Gesellschaften (einschl. Beteiligungen), die umstrukturiert worden waren. Daran schlossen sich die Entsendungen von Vertretern des Rats in die folgenden Gremien an:

  • Aufsichtsrat LAH Veranstaltungszentrum Oberhausen GmbH; künftige GEO Grundstücksentwicklungsgesellschaft Oberhausen GmbH (B/17/5721): acht Vertreter.

  • Aufsichtsrat LAH Oberhausen GmbH (B/17/5719): sechs Vertreter.

  • Aufsichtsrat OWT Oberhausener Wirtschafts- und Tourismusförderung GmbH (B/17/5720): neun Vertreter.

  • Aufsichtsrat Gasometer Oberhausen GmbH (B/17/5718): sechs Vertreter.

Dazu wurde in allen Fällen jeweils einstimmig ohne Enthaltungen ein Vertreter nach § 113 Abs. 2. Satz 2 GO NRW gewählt.

§ 113 GO NRW regelt die Vertretung der Gemeinde in Unternehmen oder Einrichtungen. Abs. 1 bestimmt u.a.:

„Die Vertreter der Gemeinde in Beiräten, Ausschüssen, Gesellschafterversammlungen, Aufsichtsräten oder entsprechenden Organen von juristischen Personen oder Personenvereinigungen, an denen die Gemeinde unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, haben die Interessen der Gemeinde zu verfolgen. Sie sind an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden.“

In Abs. 2 Satz 1 und 2 heißt es:

„Bei unmittelbaren Beteiligungen vertritt ein vom Rat bestellter Vertreter die Gemeinde in den in Absatz 1 genannten Gremien. Sofern weitere Vertreter zu benennen sind, muß der Bürgermeister oder der von ihm vorgeschlagene Bedienstete der Gemeinde dazu zählen.“

Nach den Bestimmungen des OWT-Gesellschaftervertrages hat der Rat zwei vorgeschlagene Personen, die aus dem Bereich der Wirtschaft kommen müssen zu bestätigen. Auch das erfolgte einstimmig.

  • TOP 13 brachte die Benennung der acht Vertreter des Rates für den Aufsichtsrat der künftigen GEO Grundstücksentwicklungsgesellschaft Oberhausen GmbH (B/17/5721). Der Oberbürgermeister las zunächst die bisher eingegangenen Vorschläge vor und erklärte, die Zahl der Gemeldeten berechne sich nach dem Verfahren Hare-Niemeyer:

    CDU: Frau Stehr, Herr Osmann und Herr Bandel. SPD: Herr Bischoff, Herr Prohl und Frau Wilts; GRÜNE: Herr Heinzen; LINKE: Frau Hansen.

    Herr Lange (AfD) schlug seitens der AfD-Fraktion Herrn Kempkes vor und beantragte eine geheime Wahl. Diese ergab folgendes Abstimmungsergebnis für die Listenvorschläge:

    CDU 19, SPD 19, GRÜNE 7, LINKE 5, AfD 4 Stimmen.

    Damit entsandten CDU, SPD, GRÜNE und LINKE ihre nominierten Vertreter.

  • TOP 14: Für den Aufsichtsrat der LAH Oberhausen GmbH erhielten CDU 19, SPD 19, GRÜNE 7, BOB 5, AfD 4 Stimmen für 2 + 2 + 1 + 1 Vertreter.

  • TOP 15: Für den Aufsichtsrat OWT Oberhausener Wirtschafts- und Tourismusförderung GmbH (B/17/5720) erhielten CDU 17, SPD 17, GRÜNE 6, FDP 6, AfD 4, LINKE 4 Stimmen für 3 + 3 + 1 + 1 + 1 Vertreter.

    Den Losentscheid zwischen Frau Küsters (LINKE) und Herrn Lange (AfD) entschied Frau Küsters für sich.

  • TOP 16: Für den Aufsichtsrat Gasometer Oberhausen GmbH (B/17/5718) erhielten CDU 19, SPD 19, GRÜNE 7, BOB 5, AfD 4 Stimmen für 2 + 2 + 1 + 1 Vertreter.

  • TOP 17: Hier ging es um die Entsendung eines Vertreters in den Aufsichtsrat der STOAG (B/17/5712). Für den zurückgetretenen Stadtverordneten Blanke (GRÜNE) wurde der Stadtverordnete Dobnik (GRÜNE) nominiert und ohne Wortmeldungen einstimmig gewählt. Die AfD hatte bewußt auf die Nominierung eines eigenen Kandidaten verzichtet.

Um die subtile Ausübung der Macht sichtbar zu machen, müssen wir nach und nach einige Aspekte erläutern, die mit der Wahl der Ratsvertreter in die Aufsichtsräte zusammenhängen.

Das Verfahren Hare-Niemeyer.

Wir wir bereits wissen, haben nach § 113 GO NRW die Ratsvertreter in Beiräten, Aufsichtsräten usw. die Interessen der Stadt in denjenigen Unternehmen zu vertreten, an denen die Stadt mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist. Da die Kontrolle primär politischer Natur ist, stellt sich die Frage nach der Auswahl der Vertreter.

An oberster Stelle steht der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit. Dieser besagt, daß Ausschüsse, Gremien usw. die Mehrheitsverhältnisse gewählter Volksvertretungen (hier: der Rat) so weit wie möglich spiegeln, also wiedergeben sollen. Die Frage lautet also für die Luise-Albertz-Halle GmbH: Wie ist sicherzustellen, daß die sechs entsandten Vertreter so genau wie möglich die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat wiedergeben?

Um das sicherzustellen, bedient man sich verschiedener mathematischer Verfahren, von denen dasjenige nach Hare-Niemeyer in unserem politischen System das bekannteste sein dürfte und auch gemäß § 50 Abs. 3 GO NRW für die Bildung von Ausschüssen Anwendung findet (daher der Hinweis des Oberbürgermeisters). Bei sechs Vertretern ergeben sich für CDU und SPD je 2, für alle anderen Fraktionen und Gruppen je 1 Vertreter. Es konkurrieren also AfD, LINKE, FDP und BOB um zwei Plätze.

Der einheitliche Wahlvorschlag.

In vielen Fällen, so auch jahrelang in Oberhausen bis zum Einzug der AfD in den Rat im Jahre 2020, gibt es einen einheitlichen Wahlvorschlag. Es bestimmt § 50 Abs. 3 Satz 1:

„Haben sich die Ratsmitglieder zur Besetzung der Ausschüsse auf einen einheitlichen Wahlvorschlag geeinigt, ist der einstimmige Beschluß der Ratsmitglieder über die Annahme dieses Wahlvorschlages ausreichend.“

Tatsächlich hatten sich die selbsternannten „Demokraten“ des Rates auf einen einheitlichen Wahlvorschlag geeinigt, aber die Nominierung eines eigenen AfD-Kandidaten erzwang ohne weiteres die Wahl (Stimmenthaltung oder ungültige Stimmen hindern die Einstimmigkeit nicht). Diese ist bereits auf Verlangen eines einzigen Ratsmitgliedes geheim durchzuführen (§ 50 Abs. 2.1 GO NRW).

Listenverbindungen.

Mit einem Grundsatzurteil vom 9. 12. 2009 hat das Bundesverwaltungsgericht der gelegentlich bis dahin geübten Praxis ein Ende gesetzt, wonach mehrere Fraktionen oder Gruppen gemeinsame Wahlvorschläge einreichten, um sich gegenseitig abwechselnd Ausschußplätze zu sichern, die sie sonst ihrer geringen Größe wegen nicht bekommen hätten:

„Ein gemeinsamer Wahlvorschlag mehrerer Fraktionen für die Wahl zur Besetzung der Ausschüsse der Gemeindevertretung ist auch dann unzulässig, wenn ihm eine durch einen Koalitionsvertrag vereinbarte Zusammenarbeit der Fraktionen zugrunde liegt.“

In dem konkreten Fall hatten sich zwei kleine Fraktionen der CDU angeschlossen und in einem Koalitionsvertrag vereinbart, daß den beiden kleineren Koalitionären drei bzw. ein Ausschußsitz überlassen werde.

Erlaubt ist natürlich der Zusammenschluß zweier Gruppen im Rat, um dadurch Fraktionsrechte und Ausschußsitze zu erhalten. § 56 GO NRW sieht freiwillige Vereinigungen von Ratsmitgliedern oder von Mitgliedern einer Bezirksvertretung, die sich auf der Grundlage grundsätzlicher politischer Übereinstimmung zu möglichst gleichgerichtetem Wirken zusammengeschlossen haben, ausdrücklich vor.

Absprachen und Leihstimmen.

Absprachen und Leihstimmen sind natürlich erlaubt, auch wenn sie in der Praxis dazu führen, daß man den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit aushebelt. Ein solches Verfahren ist anhand der Abstimmungen zu Ausschußsitzungen im Dezember 2020 im Bochumer Stadtrat ausführlich beschrieben worden: Grüne und CDU maßen sich an zu bestimmen, wer in den Ausschüssen des Stadtrats abstimmen darf.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat einem Antrag der Betroffenen „Partei / Stadtgestalter“ stattgegeben und die Neuwahl der Ausschüsse verfügt. Diese ist dann in der Ratssitzung am 4. 2. 2021 erfolgt.

In einer Entscheidung des OVG NRW vom 26. 4. 2011 ist letztinstanzlich entschieden worden, daß „daß der Spiegelbildlichkeitsgrundsatz nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG mit Blick auf seine Verwurzelung im Demokratieprinzip verfassungsrechtlich zwingend nur für die Wahl zu den kommunalen Vertretungsorganen und die Bildung ihrer Teil- und Hilfsorgane gilt, die an der Vertretungsfunktion teilhaben“ (Bundesverwaltungsgericht 28. 4. 2010). Weiter:

„Kommunale Vertretungsorgane und ihre Teil- und Hilfsorgane im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind ausschließlich der Gemeinde- bzw. Stadtrat, der Kreistag sowie ihre jeweiligen Ausschüsse und – soweit bestellt – Unterausschüsse.

Zu diesen Organen zählen die nach § 50 Abs. 4 GO NRW zu besetzenden Gremien nicht, so daß der Spiegelbildlichkeitsgrundsatz insoweit nicht zur Anwendung gelangt. Dem trägt das Gesetz in § 50 Abs. 4 Satz 1 GO NRW auch ersichtlich Rechnung, wenn es lediglich die „entsprechende“ Anwendung von § 50 Abs. 3 GO NRW vorschreibt.“

Bei Bestellung von Vertretern in Drittorganisationen im Sinne von § 113 und § 63 Abs. 2 richtet sich das Wahlverfahren gemäß § 50 Abs. 4 nach den Bestimmungen des § 50 Abs. 3. Articus/Schneider, GO NRW S. 277 leiten daraus ab, daß auf Verfahren nach Abs. 4 der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit nicht anwendbar sei.

Der Bochumer Fall ist also nicht anwendbar, da es sich dort um die Besetzung von Ausschüssen handelte. Hier aber ging es um die Beschickung von Aufsichtsräten, bei denen der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit eben nicht anwendbar ist.

Die Absprachen zu Lasten der AfD sind ohnehin erkennbar und nur eine Fortsetzung der Taktik, wie sie bereits in der konstituierenden Ratssitzung am 16. 11. 2020 mit Erfolg von den selbsternannten „Demokraten“ angewandt worden ist. Die Absprachen bestanden jetzt darin, daß LINKE, BOB und FDP die Posten untereinander aufteilten und sich darauf einigten, den jeweiligen Vertreter durch Leihstimmen über die „4-Stimmen-Hürde“ der AfD-Ratsfraktion zu hieven.

Bei der OWT-GmbH (TOP 15) waren gleich zwei Vertreter mit Leihstimmen zu bedenken, was der FDP-Gruppe sicher gelang. Bemerkenswert ist nur, daß trotz des Verzichts von BOB die LINKEN nur vier Stimmen und damit nur eine mehr als die Fraktion erhielten, weshalb die Auslosung notwendig wurde.

Die Absprachen der „Demokraten“ in der konstituierenden Sitzung 2020 sind vom Stadtverordneten Noldus in der Ratssitzung vom 20. 3. 2023 (siehe dort Anlage 1) anläßlich der Wahl des Stadtverordneten Lütte in den STOAG-Aufsichtsrat kurz und knapp beleuchtet worden. Gerne zitieren wir den Schlußteil jener Rede:

„Mit Ihrer Leihstimmenkampagne mögen Sie damals einen Erfolg errungen haben – aber nur in Ihren Augen. Langfristig diskreditieren Sie damit das System, in dem Sie leben und von dem Sie leben! Ohne es zu wollen, spielen Sie uns damit in die Hände!

Wir können das ruhig offen sagen, weil Sie dazu verdammt sind, Ihrer eigenen Logik zu folgen bis zum bitteren Ende. Wir sagen ‚Danke!‘“